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CoD

Folgender interessanter Leserbrief erreichte mich gestern von Community-Mitglied Tomy:

„Lieber Stevinho,

da ich weiß, dass du dich mit dem Thema Gewaltdarstellung in Videospielen in Vergangenheit besonders im Zusammenhang mit einem eher unqualifizierten Herrn Prof. Dr. Pfeiffer häufiger auseinandergesetzt hast, möchte ich dir hier mal eine wissenschaftliche Perspektive aufzeigen. Ich bin mir sicher, es gibt viele Spieler, die sich dafür interessieren.

Zunächst einmal zu mir und warum ich mich überhaupt qualifiziert fühle, meinen Senf dazu zu geben. Ich bin 23, gebürtiger Hamburger und lebe aktuell in München, wo ich Theaterwissenschaft studiere. Die Theaterwissenschaft richtet sich aber nicht nur am Theater aus, sondern untersucht generell Wahrnehmungsprozesse im Zusammenhang mit Medien jeglicher Art. So kommt es, dass ein Teil meines Studiums sowie meine Bachelor-Arbeit (über ludo-narrative Dissonanz im Spiel The Stanley Parable) im Bereich der Game Studies bzw. Ludologie anzusiedeln ist. Im Zuge dessen habe ich auch eine Arbeit zur Gewaltdarstellung in Videospielen am konkreten Beispiel des Top-Down-Shooters Hotline Miami verfasst. Der folgende Ansatz stammt von Dr. Hans-Joachim Backe und lässt sich auf die Gewalt in Videospielen anwenden:

In Videospielen unterscheidet man zwischen dem Spiel erster und dem Spiel zweiter Ordnung. Während das Spiel erster Ordnung den Spielmechaniken, Regeln und Restriktionen der Spielwelt entspricht, steht das Spiel zweiter Ordnung für die narrative Rezeption, also das Wahrnehmen des Geschehens oder der Geschichte. Diese beiden Ebenen sind aber nicht gleichwertig, sondern es besteht eine Dominanz des Spiels erster Ordnung. Das führt zu einer De-Kontextualisierung der Zeichen im Spiel erster Ordnung, was bedeutet, dass Symbole, Handlungen oder eben auch Gewalt im Spiel erster Ordnung keine Bedeutung haben, sondern im Rahmen der Spielmechaniken und der Regeln der Spielwelt vom Spieler als „gegeben“ hingenommen werden. Das äußert sich zum Beispiel darin, dass der Spieler Entscheidungen zunächst aufgrund der Spielmechaniken und dem Ziel des Spiels abwägt und erst dann narrative Elemente mit einbezieht. Welche Klasse oder Spezialisierung ich in WoW spiele, hängt zuerst davon ab, welchen Spielstil ich bevorzuge und nicht, ob ich die persönliche Charaktergeschichte eines Priesters oder Kriegers spielen möchte. Oder anderes Beispiel: Welche Seite ich in Jedi Knights: Jedi Academy bevozuge, gut oder böse, mache ich von den Fähigkeiten abhängig, die ich bekomme.

Gewalt im Rahmen der Spielmechaniken ist also zunächst einmal nahezu bedeutungslos, wir sprechen hier von „semantisch unaufgeladen“. Im Spiel zweiter Ordnung, also auf der narrativen Ebene, kommt es dann zu einer Re-Kontextualisierung der Zeichen. Dazu muss allerdings das Spiel erster Ordnung seine Dominanz aufgeben. Das passiert zum Beispiel in Cutscenes oder bei sonstigem Kontrollverlust des Spielers oder wenn Entscheidungen keinen Einfluss auf Fähigkeiten haben. Tritt hier nun Gewalt auf, wird diese durchaus als solche wahrgenommen und auf ihre Legitimität hin überprüft. Das beste Beispiel liefert dafür die Diskussion rundum die Folterszene in GTA V. Auch wenn es sich hierbei nicht um eine reine Cutscene handelt, ist das Spielgeschehen entschleunigt und der Spieler besitzt nur noch geringfügige Kontrolle. Zudem kommt der Wahl der Folterinstrumente keinen Einfluss auf die Spielmechaniken. Erst dadurch kommt der Spieler dazu, die Gewalt als solche wahrzunehmen. Dass der Spieler die Handlung selbst ausführen muss und es dadurch automatisch zu einem Zögern kommt, verstärkt diesen Effekt. Eine abgeschwächte Form zeigt sich bei The Last of Us. Hier weist die narrative Ebene auf die Gewalt im Spiel erster Ordnung hin, indem Ellie die Handlungen kommentiert. Auch so kann Gewalt re-kontextualisiert werden, sofern der Spieler diese Kommentare mitbekommt.

Hat man diese Unterscheidung verstanden, ergibt sich eine Erklärung dafür, warum wir uns scheinbar skrupellos durch Videospiele schießen und schnetzeln. Dass wir ohne zu zögern in Counter-Strike und dergleichen herumballern, liegt schlichtweg daran, dass Gewalt im Rahmen des Spiels erster Ordnung überhaupt keine Bedeutungseinheit darstellt, sondern eine Mechanik zum Erreichen des Spielziels. Sobald aber Gewalt auf der narrativen Ebene auftritt und die Dominanz des Spiels erster Ordnung aufgelöst wird, zeigt sich der Spieler gar nicht so skrupellos wie behauptet wird.

Liebe Grüße
Tomy

Spannend, oder? Was meint Ihr dazu?


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17 KOMMENTARE

  1. Was mir daraufhin als erstes in den Sinn kam war in etwa:
    „Wieso tötet man dann bei gta so viele Zivillisten nur aus Spaß?“ es gibt kein Ziel was dadurch erreicht würde, aber trotzdem ist das etwas was viele im spiel durchaus tuen.

  2. Um es kurz zu halten: ja.
    (Info zu mir: ich sitze momentan in meiner Gamedesign Ausbildung) ein ähnliches Thema hatte wir auch in unserer Ausbildung. Wir haben das „Spiel“ Hatred mal genauer „betrachtet“ und uns gefragt was da los ist. hatred würde nach dieser Definition zu beiden Kategorien gleichzeitig gehören. Es wird sowohl Spielelement sein, als auch „narrative“ Aufgabe des Spiels sein, dir die ERFAHRUNG (später mehr dazu) des Amoklaufens zu vermitteln. Unser Dozent hat noch die Hoffnung geäußert, dass eventuell ja am Ende des Spiels eine moralische Hinterfrage kommen würde, aber sein wir ehrlich dazu wird es in der Form nicht kommen, wenn bekannte Rechtsradikale an der Entwicklung mit dran saßen. Im Endeffekte geht es in Spielen IMMER darum eine Erfahrung an den Spieler weiterzuleiten, bei den meisten Egoshootern ist das der Taktische Effekt: Du kannst dich mit Freunden wie auch wildfremden Menschen zusammen tun um ein anderes Team taktisch und ohne menschliche Verluste zu besiegen. In z.B. Candycrush geht es darum, dass der Spieler vorausdenkt und seine Züge plant, als auch darum ein wenig Glück zu haben. In RPGs geht es darum „narrativ“ dem Spieler eine Geschichte zu erzählen, die er dann meist interaktiv erleben darf, folglich Erfahrung (nicht EP/EXP) erhält. Wenn nun ein GTA V daher kommt und dich jemanden foltern lässt, soll das dem Spieler nicht nur das Gefühl geben der übelste Motherfucker auf dem Planeten zu sein, sondern das Spiel auch zu entschleunigen ihn zum überlegen zu bringen, ihn fragen „Und was wäre, wenn das Spiel jetzt die Realität wäre und du wirklich jemanden foltern würdest und so im Rausch wärst dass du gar nicht aufhören kannst? Fändest du es dann immer noch so gut?“ Dass der Spieler sich hier nicht entscheiden kann ist gewollt und kein Bug oder ein kleiner Denkfehler, das sollte genauso wie es ist sein. Der Spieler soll die Erfahrung erhalten: Foltern ist nicht geil/cool/schön. Und das haben sie damit erreicht, sonst hätte es nicht plötzlich so einen Aufschrei von den weniger Intelligenten Mitbewohnern auf diesem Planeten gegeben. Hier komme ich auch ungerne wieder auf hatred zurück, es WÄRE durchaus möglich, dass später am ende des Spiels eine Moralfrage sich auf tun: „Hat es dir gefallen? Sollen wir vielleicht noch mehr Cops reinschicken? Würde es dir dann vielleicht noch mehr Spaß machen? Oder möchtest du doch lieber noch mehr Passanten töten? Ist es das was du willst?“ – wie gesagt bin ich der Meinung dass selbst wenn es das geben wird, in Wahrheit damit von den „Designern“ ins geheim doch nur das Massentöter 5000 Spiel auf den markt gepuscht wird und so sogar legitimiert werden würde.

    I9ch persönlich habe in den Letzten Tagen und Wochens ehr viel Robocraft und Payday 2 gespielt (beide empfehlenswert) Robocraft bietet dir die Chance etwas a la Minecraft zu bauen und es dann auf Effizienz hin im Wolrd of tanks Stil zu testen. payday 2 bietet dir schier unendliche massen an freiwilligen Polizisten, die Hirnlos auf dich los stürmen um dich daran zu hindern eine Bank auszurauben, woraufhin du mit deinem Team sie zu Brei zerballerst –> Hier bietet das Spiel enorme Skillmöglichkeiten und des Öfteren wird gute Taktik und Teamplay gefordert (Vor allem gute Team sind gegen höchste Schwierigkeit nötig ._. )
    Payday 2 mag für manche nun nach Hatred mit Polizisten als primär ziel klingen doch da liegen Welten zwischen. In Hatred ist es deine Erfahrung zu töten und in Payday dich zu steigern, effizient zu spielen, dich mit deinem Team abzusprechen, intelligent Probleme zu lösen und Taktiken zu perfektionieren.

    Spiel ist nicht gleich Spiel.

    • * Der satz ist irgendwie abhanden gekommen:
      In Payday 2 ist es dein Ziel als Krimineller an extrem viel Bargeld zu kommen, was liegt da näher als Bank raub und Drogengeschäfte? Payday wäre nach der oberen Definition ein Spiele erster Kategorie

  3. Naja schon gut nachvollziehbar. Halt eigentlich das alte Argument (was ich für richtig halte): „In einem Taktik-Shooter oder RTS-Game geht es nicht ums töten, sondern um die Taktik“ wissenschaftlich dargestellt.

    Finde diese Betrachtungsweise gut und sie deckt sich auch mit meinen Erfahrungen.
    Wenn ich in Call of Duty/Left 4 Dead/WoW etc. etc. riesige Horden an Menschen/Zombies/Mobs töte ist das für mich völlig nebensächlich, gehört halt zum Spiel.
    Wenn ich aber in Dragon Age Origins (Wahlloses Beispiel) vor die Wahl gestellt werde ein Kind zu töten, dass von einem Dämon besessen ist oder eine aufwändiges Ritual durchzuführen, um es zu retten, schaltet sich schon die Moral-Maschine im Kopf ein.

  4. Finde ich, auch als Medienwissenschaftsstudent, sehr interessant. Ist aber für die Damen und Herren von RTL Explosiv oder Frontal 21 und die ganzen Muttis die ihnen an den Lippen hängen, wohl leider etwas zu hoch. Das wäre doch mal eine Aufgabe für einen kompetenten Moderator/Reporter/whatever, das der breiten Masse mal verständlich zu erklären.
    Ist ja genau das Gleiche wie mit der „Ausländermaut“, in jedem anderen Land nennt sich so was „Verkehrsabgabe für Transitreisende“, aber das versteht der CSU Stammtisch natürlich wieder nicht :D.

  5. Gute Erklärung. Spiele sind primär immer mechanische Angelegenheiten. Die Thematik dient in der Regel lediglich der Intuition. Wenn von einem Schwertkämpfer die Rede ist, hat jeder sofort eine Vorstellung im Kopf (und damit implizit Annahmen über das Regelwerk). Bei einem bloßen „eckigen Spielstein“ eben nicht.

    In der Regel ist eine Gewaltthematik aber sogar der potenziellen Interessantheit der Spielmechanik abträglich. Sehr guter Artikel dazu: http://keithburgun.net/violence-part-2-game-design-ramifications/

  6. Verstehe, verstehe, man muss also unterschieden zwischen Gewalt, die zum Erreichen des Spielziels führt und einfach eine Mechanik des Spiels ist von der man im Kopf total abstrahiert.
    Ich meine, das ist ja auch irgendwie klar, wenn ich bei CS:GO jemanden in den Kopf schieße dann denke ich mir dabei ja auch nicht „Geil, ich hab da jetzt quasi ner Person in den Kopf geschossen, ist schon cool“, sondern eher „Ich hab das geschafft“, „Ich bin gut“, „Jawoll“, also es geht ja im Kopf nicht um die Handlung selbst, sondern als Mittel zum Zweck das Spiel zu gewinnen.

    Überraschend ist, dass ich den ganzen Geisteswissenschaftbereich, wenn man das so bezeichnen kann, meist eher uninteressant finde, der Text war aber wirklich gut und verständlich.

    • „Geisteswissenschaften“ als Wissenschaft zu bezeichnen scheint mir immer etwas merkwürdig, da Wissenschaft mit Fakten und Zahlen arbeitet und klar messbaren Ergebnissen, die bei dem Sachen wie dem oben beschriebenen ganz klar fehlen.

      • Wir haben in den Geisteswissenschaften auch mit Fakten, nur gehen wir anders mit denen um als die Naturwissenschaftler. Wissenschaft hat weniger mit dem Thema, sondern eher mit der Arbeitsweise zu tun.

        • Amen – vor allem zum letzten Satz! Die hochnäsige Arroganz gegenüber den Geisteswissenschaften ist mir noch immer ein Rätsel.

        • Zustimmung. Man kann doch keine Wissenschaften mit hermeneutischen Zugang vorwerfen, sie würden keine „harten Fakten und Zahlen“ hervorbringen.

          Immer wenn ich so etwas hören und lesen muss krieg ich ’nen Rappel. Ich frag mich bis heute, wieso ein gewisses Grundlevel an Philosophie kein Pflichtfach in der Oberstufe ist. Man entlässt Abiturienten aus der Schule und bietet ihnen die Möglichkeit sich für irgendeine akademische Disziplin einzuschreiben, aber ohne, dass sie sich mal mit grundlegender Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie beschäftigt haben. Das ist doch absurd.

          • Hat schon seinen Grund, warum Philosophie früher das verpflichtende Grundstudium, das „studium universalis“ war (gut, hing auch damit zusammen, dass man in diesem Studium Latein gelernt hat).

  7. Wow,lieber leserbriefschreiber, ich bin kurz davor meine bachelorarbeit zu verfassen und würde mich sehr über eine literaturliste zu diesem thema freuen. Bei mir wird es zwar um analoge spiele gehen, vom backe kenne ich aber bis jetzt nur sein konzept zur medienkompetenz, was ich für fragwürdig erachte. Deine Ausführungen sind aber sehr interessant und schlüssig.

    • Kommt etwas spät, aber vielleicht liest du das ja noch. Ich gebe mal die Aufsatzsammlungen und nicht die einzelnen Aufsätze an, Backe findest du im ersten:

      von Brincken, Jörg / Konietzny, Horst [Hgg.]: Emotional Gaming. Gefühlsdimensionen des Computerspielens. München: epodium, (INTERVISIONEN – Texte zu Theater und anderen Künsten, 10. Bd.), 2012.

      Cermak-Sassenrath, Daniel: Interaktivität als Spiel. Neue Perspektiven auf den Alltag mit dem Computer. Bielefeld: Transcript, 2010.

      Krämer, Sybille [Hg.]: Medien Computer Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien. 2. Aufl. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2000.

      Wolf, Mark J. P. / Perron, Bernard [eds.]: The Video Game Theory Reader. 2 Bde. New York: Routledge, 2003 u. 2009.

      GamesCoop [Hg.]: Theorien des Computerspiels zur Einführung. Hamburg: Junius, 2012.

      Manovich, Lev: The language of New Media. Cambridge: MIT Press, 2001.

      Distelmeyer, Jan / Hanke, Christine / Mersch, Dieter [Hgg.]: Game over!? Perspektiven des Computerspiels. Bielefeld: Transcript, 2008.

      Domsch, Sebastian: Storyplaying. Agency and Narrative in Video Games. Berlin: De Gruyter, 2013.

      Raessens, Joost [ed.]: Handbook of Computer game studies. Cambridge: MIT Press, 2005.

      Kocher, Mela: Folge dem Pixelkaninchen! Ästhetik und Narrativität digitaler Spiele. Zürich: Chronos, 2007.

      Neitzel, Britta [Hg.]: See I’m real? – multidisziplinäre Zugänge zum Computerspiel am Beispiel von ‚Silent Hill‘. 2. Aufl. Münster: Lit, 2005.

      Ryan, Marie-Laure: Narrative as virtual reality. Immersion and interactivity in literature and electronic media. Baltimore (u.a.): Johns Hopkins Univ. Press, 2001.

      Denke das sollte erstmal reichen.

  8. klingt durchaus interessant und ich finde mich darin wieder.
    Gut, ich geh in WOW wohl doch mehr mit RP rein, da ich dort doch den Hexer WEGEN seiner Story gewählt habe und immer Gebrechen bleibe. Ebenso bei meinem Priester, der auch Shadow ist und definitiv kein heilige Skillung erhalten wird.
    Bei Shootern hingegen denke ich auch nicht weiter drüber nach. Ich schieße einfach.
    Doch grade bei GTA5 war diese beschriebene Szene sehr unangenehm. Und ich habe sie auch nur vollendet, da ich wusste, dass es Absicht von den Entwicklern war, uns zu schocken und uns klar machen wollten, wie eklig doch alles sein kann. Und es ist komplett richtig, dass es FSK18 ist!

  9. Hm, für mich isn Spiel ein Spiel, egal, was ich tun muss, bin beim Bund auch nich mitm G36 in der Hand rumgesprungen und hab jeden „angemacht“

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