TEILEN

„Community-Jurist“ Kinki schrieb mir heute folgenden interessanten Leserbrief zum Fall Böhmermann:

„Hallo Steve,

wie du sicherlich mitbekommen hast, gibt es eine erste Entscheidung in der Causa Böhmermann, und zwar von der Pressekammer des Landgerichts Hamburg. Dieses hat Böhmermann per einstweiliger Verfügung untersagt, große Teile seines „Schmähgedichtes“ zu wiederholen.

Erlaubt sind noch folgende Passagen:
„Sackdoof, feige und verklemmt, ist Erdogan, der Präsident.
[…] Er ist der Mann, der Mädchen schlägt und dabei Gummimasken trägt.
[…] und Minderheiten unterdrücken,
[…] Kurden treten, Christen hauen“

Frage mich bitte nicht, warum die Unterstellung von Sado-Praktiken mit jungen Frauen in Gummiklamotten weniger beleidigend sein soll als der Geschlechtsverkehr mit Vierbeinern. Meine persönliche Theorie ist, dass die Hamburger Richter zu oft das Hamburger Nachtleben genossen haben, aber das sei mal dahingestellt!

Die Pressekammer ist damit mal wieder ihrem Ruf als „rechtsfreier Raum“ gerecht geworden, denn nahezu die gesamte Fachwelt hält schon die Herangehensweise der Kammer für falsch: Die Kammer seziert das Schmähgedicht Zeile für Zeile, betrachtet aber weder das Gesamtwerk – hierzu gehörten An- und Abmoderation – noch den zeitlichen Zusammenhang mit dem Extra 3-Song, gegen den Erdogan im Vorfeld vorgegangen war. Es ist auch nicht so, dass die Hamburger hier rechtliches Neuland betreten würden. Der Bundesgerichtshof hat schon vielfach geurteilt, dass bei der Beurteilung von Kunst und Satire immer die Gesamtbetrachtung im Vordergrund stehen muss. Alleine: das interessiert die Pressekammer Hamburg traditionell nicht. Wer hierzulande eine missliebige Äußerung verbieten lassen will, der klagt in Hamburg und kann ziemlich sicher sein, dass frühestens der Bundesgerichtshof für Meinungs- und Kunstfreiheit sorgt.

Wichtig: Ich enthalte mich bewusst der Bewertung, ob das Gesamtwerk Böhmermanns von der Satirefreiheit gedeckt sein muss oder nicht. Ich stelle nur fest: So, wie Hamburg das Gedicht seziert hat, geht es jedenfalls nicht.

Ich schätze – ohne hier mit Einzelheiten des Rechtsweges langweilen zu wollen – dass die Sache in letzter Konsequenz beim Bundesgerichtshof landet, und der wird dann letztlich entscheiden, ob das Gesamtwerk als Satire zulässig war oder die Grenzen überschritten hat.

Abschließend: Mit dem laufenden Strafverfahren wegen „Präsidentenbeleidigung“ hat diese Episode nichts zu tun. Das Zivilverfahren läuft dazu parallel und unabhängig.

Gruß Kinki“

Schmähgedicht

Quelle: Spiegel.de


Anzeige

12 KOMMENTARE

  1. Ich finde das Gedicht mehr und mehr Gelungen. Desto höher die Wellen schlagen desto mehr bestätigt es den Wahrheitsgehalt unseres Poeten

  2. Was ich nicht ganz verstehe… warum befasst sich ein Gericht in Hamburg damit. Wenn ich mich recht erinnere muss der Kläger zum Angeklagten kommen. Sprich Herr Böhmermann – mit Wohnhaft in Köln derzeitig – muss doch eigentlich dann vom Amtsgericht Köln bzw. Landesgericht Köln begutachtet werden bzgl. seines Gedichtes oder nicht. Selbst wenn es Herr Böhmermann nicht ist denn man verklagt bzw. die einstweilige Verfügung erwirkt und man verklagt das ZDF die ihren Sitz in Mainz hat, warum ist dann nicht das Gericht in Mainz dafür zuständig?

    Gut ich bin kein Jurist aber vielleicht kann mir das jemand genauer erklären.

    • Kann ich dir sogar sehr genau erklären: man nennt das den „fliegenden Gerichtsstand“.

      Entstanden ist der im Presserecht, als geurteilt wurde, dass eine unerlaubte Handlung, z. B. Beleidigung, die via Printmedien begangen wird, überall dort einen Gerichtsstand hat, wo das betreffende Printmedium erhältlich ist. Oder einfacher gesagt: Wo ich die Zeitung mit der Beleidigung kaufen kann, kann der Beleidigte auch klagen, nämlich überall, weil nunmal die Zeitung deutschlandweit verkauft wird.

      In Zeiten des Internets hat sich dann der fliegende Gerichtsstand auch dort eingenistet: Böhmermanns Beitrag konnte an jedem Ort Deutschlands empfangen bzw. abgerufen werden, also ist auch überall ein möglicher Gerichtsstand.

      Damit kann sich der Kläger also wirklich ein beliebiges Gericht heraussuchen. Und wenn es um Maulkörbe geht, so hat sich eben Hamburg seit Jahrzehnten einen Ruf als die meinungsfreiheitsfeindlichste Rechtsprechung erworben.

      Deshalb: Willst du jemandem einen Maulkorb verpassen, klage in Hamburg, da gewinnst du am ehesten.

      • Wenn du eine weniger populistische Antwort auf die Frage haben willst:

        Als Gerichtsstand ist jeder Ort der unerlaubten Handlung möglich. Dies liegt schlicht darin begründet, dass man davon ausgeht, dass das Gericht was am nächsten am „Tatort“ ist, sich am besten dort auskennt. Bei einem Autounfall von nem Berliner und nem Münchener in Hamburg, ist natürlich das Gericht in Hamburg am geeignesten den Fall aufzuklären. Auch weil die möglichen Zeugen im Zweifel in „Tatort“-Nähe wohnen.

        Im Falle einer Veröffentlichung in der Presse führt es zu dem Effekt, dass regelmäßig die gesamte Bundesrepublik als Gerichtsstand in Frage kommt. Hat der Gesetzgeber aber nun mal so vorgesehen und funktioniert in der Praxis auch. Anders als bei Urheberrechtsverletzungen ist auch der Beklagte nicht besonders schutzwürdig. Es ist den großen Medienunternehmen schon zumutbar zu nem anderen Gericht zu reisen.

        Warum so häufig die Pressekammer Hamburg oder Köln?

        Einige Landgerichte haben spezialisierte Pressekammern eingerichtet. Darunter fallen das LG Köln, Hamburg und Berlin. Presse- und Medienrecht ist eine hochspezialisierte Disziplin. Es vermengt die unerlaubte Handlung des Zivilrechts mit hochspezifischen verfassungsrechtlichen Fragen. Auch gibt es sehr viele prozessuale Besonderheiten im Medienrecht.

        Darum geht man mit Pressesachen regelmäßig zu diesen spezialisierten Kammern, weil sie schlicht eine höhere Sachkompetenz haben. Damit geht aber einher, dass die gesamten Einschränkungen der Presse halt von der Pressekammer in Hamburg und Köln beschlossen werden. Primär weil sie einfach die meisten presserechtlichen Verfahren haben.

        Auch kennt man mehr oder weniger die „Linien“ der Pressekammern. Geht man zum Beispiel vor eine normale Kammer z.B. vor dem LG Mainz dann hat man 1. schlecht gelaunte Richter, weil sie sich in der Materie 0 auskennen und sich einlesen müssen 2. im Zweifel Richter die auch nach dem Einlesen immer noch recht wenig Ahnung davon haben und 3. ein Urteil welches absolut unvorhersehbar für alle Parteien ist.

        Experten auf dem Medienrecht können dagegen recht genau einschätzen, wie presserechtliche Verfahren vor den bekannten Pressekammern wohl laufen werden. Das heißt man minimiert das Risiko von Willkür-Urteilen.

        Kinkis „Behauptung“ die Pressekammer hätte den Gesamtkontext nicht be achtet ist schlicht falsch und entspricht einfach nicht der Wahrheit. Dass sies getan haben steht unter anderem ausdrücklich in der Pressemitteilung. Auch die Behauptung, dass der BGH überdurchschnittlich häufig Urteile von der Pressekammer Hamburg kassiert ist statistisch nicht haltbar.

        Man kann es sicher anders sehen als die Pressekammer Hamburg, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht sehr hoch einschätzt. So zu tun als sei es aber irgendwie nicht mit Recht und Gesetz zu vereinbaren, was die Pressekammer macht ist aber schlicht Schwachsinn. Nur weil man etwas anders sieht, heißt es nicht, dass es unrecht ist.

        Und natürlich hat auch die Entscheidung der Pressekammer Einfluss auf das Strafverfahren. Auch im Strafverfahren muss eine Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht vorgenommen werden. Die Strafgerichte sind zwar nicht gebunden an der Entscheidung der Pressekammer, selbstverständlich wird sie sich aber der Expertise der Kollegen bedienen. Auch ein Strafrichter weiß in der Regel, dass die Pressekammer schlicht mehr Ahnung von der Materie hat als ein Strafrechtler.

        • Sorry Ara, aber in einigen Punkten muss ich Dir widersprechen! Einfach gesagt gibst Du die Theorie wieder, wie du es vermutlich aus dem Studium kennst. In der Praxis sieht es aber mit dem Gerichtsstand Hamburg genau so aus, wie ich es dargestellt habe. Hamburg ist SEHR auf das Persönlichkeitsrecht fixiert, um es mal vornehm auszudrücken. Und dass der BGH Hamburg nicht überdurchschnittlich oft aufhebt – eine Statistik kenne ich hier nicht -, liegt auch an folgenden Faktoren:

          1. Gegen die wenigsten Entscheidungen wird Revision eingelegt, schlicht aus finanziellen und praktischen Gründen. Das Mediengeschäft ist schnelllebig, und bis der BGH eine Meldung erlaubt, bis also der Instanzenzug durchlaufen ist, ist die Meldung ein alter Hut.

          2. Der BGH kann sich nahezu beliebig die Verfahren raussuchen, mit denen er sich inhaltlich beschäftigt; die meisten Revisionen werden ohne Begründung verworfen.

          3. Dass Hamburg mehr Erfahrung mit der Materie hat, stimmt natürlich, und deshalb machen andere Gerichte im Zweifel mehr handwerkliche Fehler als Hamburg. Und handwerkliche Fehler sind ja die besten Revisionsgründe.

          Ich bleibe deshalb dabei: Sollte die Sache vor den BGH gehen, wird möglicherweise das Ergebnis – Verbot – überleben, aber Hamburgs Begründung wird der Revision nicht standhalten.

          • Es ist nicht „Theorie aus dem Studium“. Ich war der Kammer 24 zur Ausbildung zugewiesen und kenne sie daher sogar in der Praxis von innen.

            Wie gesagt, man muss der sehr hohen Bewertung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Pressekammer Hamburg nicht zustimmen (tue ich auch nicht immer). DAS ist aber nicht der primäre Grund, warum so viele Pressesachen in Hamburg (oder Köln oder Berlin) landen. Ob die Einstweilige im konkreten Fall hier standhält weiß ich nicht und mag ich auch nicht abschätzen. Soweit man es aus der kurzen Pressemitteilung aber erlesen kann, hat die Pressekammer sich sehr umfangreich mit der Abwägung und dem Gedicht im Gesamtkontext beschäftigt. Das „Sezieren“ ist auch kein Problem und wurde lediglich von RA Scherz kritisiert (warum auch immer). Es ist üblich im Medienrecht und folgt einfach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Ansonsten müsste man immer ein komplettes Gedicht verbieten, weil bestimmte Passagen rechtswidrig sind. Auch Bücher werden nicht komplett verboten, sondern es müssen lediglich einzelne Stellen geschwärzt werden. Das ist absolut üblich.

          • @Ara: Der BGH hat Hamburg schon vielfach deutliche Worte ins Stammbuch geschrieben, was die Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Pressefreiheit angeht und insbesondere auch was die Betrachtung von Satire angeht.

            Natürlich kann man anderer Meinung sein. Aber während sich landauf, landab die Gerichte, insbesondere die Obergerichte, an der BGH-Rechtsprechung orientieren, interessiert das die Hamburger nicht; sie ziehen ihr eigenes Ding durch.

            Das ist rechtlich zulässig, zweifellos. Aber wem nützt es bitte, wenn es da ein „kleines gallisches Dorf“ gibt, das letztlich nur Rechtsmittel provoziert? Denn dieses Dorf hat keinen Zaubertrank, sondern es wird in schöner Regelmäßigkeit per Revision durchgekehrt.

            In der Sache selbst: ich vermisse – nur als Beispiel – jeden Hinweis auf die An- und Abmoderation des Schmähgedichts in der Pressemitteilung. Und damit ist bereits widerledt, dass sich die Pressekammer mit dem „Gesamtkontext“ beschäftigt hat. Ebenso fehlt jeder Hinweis auf den Extra 3-Zusammenhang.

            Also entweder ist es eine der falschesten Pressemitteilungen aller Zeiten, oder die Pressekammer hat mal wieder ihren Rechnung ohne den BGH gemacht.

          • PS:

            Steve sollte uns mal gleichzeitig in die Sendung schalten und dann ne juristische Frage stellen! Dann dürfte der Spruch „zwei Juristen, drei Meinungen“ sehr plastisch werden! 😉

          • @Ara:
            Das Problem mit dem „Sezieren“ ist aber, dass man durch das Auseinandernehmen dieses Gedichts den Sinn total entstellt. Sein Sinn und die Satire steckt darin, dass es total überzogen ist und mit jeder weiteren einzeln gestrichenen Zeile wird diese Übertreibung verringert. Man könnte also quasi (wenn auch etwas polemisch) sagen, dass es nur umso weiter in den Tatbestand der Beleidigung rückt bzw. weiter weg von der Kunstfreiheit, je mehr vom Gedicht man streicht.

          • Ich würd mich für die vierte und fünfte Meinung anbieten 😉

            Ich bin übrigens sonst eigentlich nie auf der Seite von Herrn Schertz, zudem find ich ihn und die meisten seiner Mandanten ziemlich unsympathisch. Aber an dieser Stelle hat er ausnahmsweise mal einen Punkt.

            Und Steves Blog braucht endlich mal ne Editierfunktion für Kommentare!

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here