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Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband dringt auf besser hörbare Fahrzeuggeräusche von Elektroautos, das vorgeschriebene Warnsystem Avas sei zu leise. (via)

Seit dem Jahr 2021 ist es Pflicht bei Elektroautos, dass diese Fahrzeuge mit dem Warnsystem Avas (Acoustic Vehicle Alerting System) ausgestattet sind. Avas sorgt im Grunde dafür, dass die besonders bei geringen Geschwindigkeiten überraschend leisen Elektroautos trotzdem laute Geräusche von sich geben. Auf diese Weise soll nachgeahmt werden, wie sich andere Arten von Fahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr bewegen.

Das Ganze ist notwendig, weil sich nicht alle Menschen darauf verlassen können, dass ihre Sicht ihnen beim Erkennen von kommenden Fahrzeugen hilft. Personen mit einem eingeschränkten optischen Wahrnehmungsvermögen müssen in solchen Bereichen oft auf das Hören setzen, was bei klassischen Fahrzeugen recht gut funktioniert. Bei den sehr leisen Elektroautos lässt sich aber nur schwer abschätzen, wie weit ein Fahrzeug von einem selbst entfernt ist. Dadurch werden Behinderte unnötig einer Gefahr ausgesetzt.

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband DBSV hat in dieser Woche nun öffentlich gefordert, dass Deutschland weitere Änderungen in diesem Bereich einführt. Laut der Organisation müssen Elektroautos mit besser erkennbaren Fahrzeuggeräuschen ausgestattet werden. Diese Fahrzeuge sind einfach viel zu leise und selbst Avas ist in vielen Situationen nicht ausreichend dafür, um die korrekte Distanz zu einem kommenden Fahrzeug abzuschätzen. Das kann zu Fehlentscheidungen dabei führen, ob es sicher ist noch schnell über eine Straße zu laufen.

Die Wünsche nach lauteren Elektroautos belegt der Verband mit einer vor Kurzem durchgeführten Studie der Unfallforschung für Versicherer. Laut dieser Studie würden Menschen mit einer Sehstörung ankommende Elektroautos für gewöhnlich langsamer einschätzen, als es tatsächlich der Fall ist. Basierend auf diesen Daten stellen die aktuellen Elektroautos eine unnötige Gefahr für Menschen mit eingeschränkten optischen Wahrnehmungsvermögen dar. Der Verband wünscht sich jetzt, dass die Industrie sich bei Avas an den normalen Geräuschen von Verbrennern orientiert. Gleichzeitig darf sich das System nicht abschalten, wenn ein Fahrzeug das Tempo von 20 km/h erreicht.

„Beim Verbrenner kann man hören, wie stark jemand aufs Gas drückt, ob ein Fahrzeug sanft oder kräftig beschleunigt. Bei Avas könne man das nicht so gut heraushören, es müsse also aussagekräftiger werden. Dabei wäre es sicherlich hilfreich, wenn die Industrie sich am gewohnten Verbrennergeräusch orientiert“. Verbandspräsident Hans-Werner Lange

Die für die Studie zuständig gewesenen Forscher teilen die Meinung des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands. Eine Optimierung der Avas-Vorgaben ist unbedingt zu empfehlen, weil die aktuellen Werte nicht optimal sind. Der Fokus sollte dabei dann darauf liegen, besser zu vermitteln, wann ein Fahrzeug beschleunigt. Eine Ausweitung des Systems aus Bereiche über 20 km/h wäre ebenfalls eine gute Idee. Bei Elektroautos reicht das Reifengeräusch alleine nicht dafür aus, um hohe Geschwindigkeiten nur durch das Hören zu erkennen.

Solche Forderungen kann man natürlich irgendwo nachvollziehen. Als Person mit einer Sehstörung ist es vermutlich sehr schwierig korrekt einzuschätzen, wie schnell sich ein Elektroauto nun wirklich bewegt. Diese Fahrzeuge sind extrem leise und es kann vermutlich nicht helfen, wenn man gleichzeitig noch Umgebungsgeräusche etc. in seiner Nähe hat. Ich möchte in so einer Situation nicht ohne meine Sehkraft auskommen müssen.

Gleichzeitig ist das Ganze ein Problem. Einer der großen Vorteile von Elektroautos ist einfach der Umstand, dass sie teilweise extrem leise laufen und die allgemeine Geräuschbelästigung reduziert wird. Das Ganze jetzt absichtlich lauter zu machen, wirkt daher irgendwie sonderbar und albern. Ich persönlich kommen zwar nicht auf eine bessere Lösung für alle Beteiligten, aber es gibt da bestimmt einen Weg, der nicht auf absichtlich lauter gemachte Elektrofahrzeuge hinausläuft.


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9 KOMMENTARE

  1. Gut so!
    Sobald ich mir einen Honda E mit V8 Blubbern in der gleichen Lautstärke wie Klaus Jürgens RAM kaufen kann, bin ich dabei.

    Aber mal so, warum muss mein 4 Rad Verbrenner eigentlich 5 Schalldämpfer plus dpf, Turbo und co haben und meine Betriebserlaubnis erlischt sollte er doch auch nur ein Geräusch machen, aber irgendwelche Geschwindigkeitsbeginderten Quads und Roller dürfen lauter als besagter RAM sein.

  2. Verstehe das Problem laut dieses Artikels nicht.Avas wurde doch mit entsprechenden Verbänden entwickelt,kann mir schwer vorstellen das denen das schon nicht vorher aufgefallen ist,jedes neu zugelassene Auto muss meines Wissens nach nen Notbremsassistenten mit Vollbremsen ab ca 30 kmh bei nichtbetätigung haben,und Zahlen zu entsprechenden Unfällen bleibt der Artikel ebenfalls schuldig..

  3. Als sehende Person, die, abgesehen von Kurzsichtigkeit, die mittels Brille ausgeglichen wird, nicht beeinträchtigt ist, kann ich mich dem DBSV trotzdem nur anschließen.
    Kraftfahrzeuge im innerortlichen Straßenverkehr dürfen nicht zu leise werden.

    Mein Hintergrund: Als Fußgänger im Straßenverkehr bin ich stark auf die Geräusche von Autos abgerichtet. Auch ohne nach links oder rechts zu schauen, weiß ich bereits intuitiv ob ich dort ein Auto sehen werde wenn ich da hinblicke, bevor ich die Straße überquere. Abhängig von dem Geräusch des näherkommenden Autos an einer Ampel kann ich das Abbremsmanöver (sofern vorhanden!) einschätzen ob ich als Fußgänger bei Grün die Fußgängerampel sofort überqueren kann oder lieber noch eine halbe Sekunde warte, weil das Auto zu spät gebremst hat und zu schnell auf die Ampel zugerast kommt. Das kann im städtischen Straßenverkehr den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten, auch für sehende Menschen.

    Die Geschwindigkeit eines Autos nur Anhand der Sicht einzuschätzen ist einfach wenn man es von der Seite betrachtet. Wenn es hingegen aber direkt frontal auf dich zugefahren kommt ist das ungleich schwerer. Eine Ampelsituation ist eine Mischung aus beidem, man steht ja nicht direkt auf der Fahrbahn, man sieht es schräg von der Seite, aber überwiegend eher frontal als seitlich.

  4. Dann hätte ich aber auch gerne das die Verbrenner den gleichen Mist machen müssen. Denn teilweise ist es schon witzlos das ein Verbrenner quasi kaum hörbar um die Ecke kommt während mein ID.4 sich anhört wie ein Ufo mit Fehlfunktion.

  5. Wie ich die deutsche Regelungswut kenne, wird es wahrscheinlich darauf hinauslaufen, dass die Hersteller verpflichtet werden, ein 120db-Nebelhorn in ihre Elektroautos einzubauen, das immer genau dann losgeht, wenn sich im Umkreis von einem Kilometer ein bestimmter Transponder befindet. Dieser Transponder wird von Blinden am Schlüsselbund mitgeführt.

    Mal ernsthaft: Inklusion ist nicht 100%ig erreichbar. Ob es um Rollstühle geht, um Seh-, Hör- oder andere Behinderungen. Man könnte auch Treppen verbieten, weil es über eine Million Rollstuhlfahrer im Land gibt, im Haus, im öffentlichen Bereich, überall. Warum tut man das nicht? Weil es nicht praktikabel ist. Gerade der öffentliche Raum ist ja durchaus um barrierefreie Zugänge bemüht, und wo es auch nur halbwegs geht, werden Treppen durch Rampen und Fahrstühle ergänzt, aber alles hat Grenzen.

    Und so ist es – leider – auch mit Blinden und Sehbehinderten. Dabei betrachte ich das konkrete Anliegen durchaus als Grenzfall, für den ich gar keine eindeutige Antwort geben will. Aber unsere Umwelt ist nunmal derart auf die Wahrnehmung eines bestimmten Frequenzspektrums (blaues bis rotes Licht) ausgelegt, dass Blinde hier zwar Rücksichtnahme, aber keine Unterwerfung der Sehenden erwarten können. Und die Umwelt künstlich lauter zu machen, während man gleichzeitig andernorts über Tempolimits (auch) unter Lärmschutzgesichtspunkten redet, ist einfach nicht mehr rational.

    Ich könnte mir aber tatsächlich die technische Lösung vorstellen, die ich eingangs übertrieben dargestellt habe. Entsprechende Transpondertechniken, die dann halt beim Blinden z. B. in der Hand vibrieren, sollten auch unter ökonomischen Gesichtspunkten durchaus möglich sein. Damit könnte man dann übrigens auch Fahrräder ausstatten, die nach meiner Erfahrung auch nicht gerade als Lärmschleudern bekannt, mit Tempo 40+ gleichwohl genauso tödlich sein können.

    Warum also nicht nach technischen Lösungen suchen, die den Betroffenen helfen, OHNE der Allgemeinheit zu schaden?

    • Kinki, bei aller Liebe, aber das hat mit Inklusion doch nix zutun. Ich weiß noch wie ich in Schulzeiten auf der Messe Hannover mit Freunden herumgelaufen bin und gequatscht habe, als ich plötzlich beinahe auf der Motorhaube eines auf dem Messegelände herumfahrenden E-Autos gesessen habe.
      Die Dinger sind halt so scheiße leise, dass ich es nicht gehört habe, obwohl ich direkt davor stand. Ein bisschen mehr „Lärmschutz“ (in die andere Richtung) kann nun wirklich nicht schaden.

      Und um deine letzte Frage zu beanworten: Weil die Wirtschaft keine technischen Lösungen anbietet ohne Zwang. Ich sag nur Dosenpfand, wo man nach 12 Jahren überrascht war, das er doch kommen soll. Oder Kükenschreddern, wo nach mehrjähriger Vorlaufzeit den Bauern zwei Monate vorher auffällt, dass sie noch nix gemacht haben und empört sind, dass da jetzt ein Verbot kommen soll.

      • Unter Inklusion verstehe ich die Teilhabe bzw. Integration von Menschen mit Behinderung in die „normale“ Gesellschaft; falls es da eine speziellere Definition gibt, die Blinde ausschließt … my bad.

        Und ja, ich bin mir bewusst, dass Blinde als Konsumentengruppe nicht groß genug sind, um relevant zu sein, insbesondere für Autohersteller! Ergo werden sie nur mit mehr oder weniger sanfter Gewalt mitspielen. Ich suche lediglich nach einer technischen Lösung, die nicht darin besteht, einen der Vorteile eines E-Autos zu negieren.

        • Und ich hab dir gesagt, dass das kein exklusives Problem der Inklusion ist, sondern ein Problem, in das du auch mit normaler Seh- und Hörkraft laufen kannst.

          • Sehende Personen sind aber – sorry – selber schuld, wenn sie abgeräumt werden, zumindest sobald sie im Kindergarten „erst sehen, dann gehen“ beigebracht bekommen haben. Es gibt seit jeher nahezu geräuschlose Fahrzeuge, und, wie bereits oben gesagt, auch eine Kollision mit einem Rennrad mit 40 km/h macht im Zweifel unfotogen.

            Kurz gesagt: Für sehende Personen, die nicht gucken, habe ich kein Verständnis. Erst recht nicht, wenn es sich um so einen modernen Smombie handelt! Außerdem kann der sich – bei meinem Systemvorschlag – sicher ne App runterladen, die auch warnt, wenn sich ein Leopard von links nähert! 😉

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