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Nach meiner letzten Gehirnsuppe und der Beschreibung meiner Zukunftsängste haben mich extrem viele Nachrichten und Mails erreicht. Es ist einfach unglaublich, wie viele Leute an Depressionen leiden oder mal gelitten haben. Mich hat eine Welle von Tipps und Anregungen erreicht – von Meditation bis hin zu Taktiken, wie man mit Ängsten umgehen kann, war alles dabei. Zuerst Mal: Tausend Dank für Eure zahlreiche „Anteilnahme“.

Was mich aber am meisten gewundert hat, ist, wie viele Leute aus meinem Online-Bekanntenkreis dabei waren, von denen ich niemals gedacht hätte, dass sie mal mit Depressionen zu tun hatten.. Oder ist das so’n Ding, was für Gamer typischer ist als für andere Menschen? Wenn Dir jeder Zweite aus Deinem Umfeld plötzlich erzählt, dass er auch damit zu tun hat/hatte, dann kommt man schon ins Grübeln.

Wenn man meine Erfahrung hier mal hochrechnet und sie sich halbwegs mit der Allgemeinheit decken, dann hätten wir als Gesellschaft ein großes Problem. Und vor allem: Warum spricht „niemand“ darüber? Klar gibt es immer wieder Menschen, die darüber reden oder schreiben (Kurt Krömer, Felix Lobrecht), aber grundsätzlich ist dieses Problem doch eher ein Randthema und nicht mal ansatzweise in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Aber woran liegt das?

Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen in unserer Leistungsgesellschaft versuchen, mit den eigenen Depressionen alleine fertig zu werden. Bloß nicht auffallen, bloß nicht das Risiko eingehen, dass die eigene Karriere von einem solchen Outing „beschädigt“ wird. Aber irgendwann geht’s halt nicht mehr anders. Ich habe in der Klinik so viele Leute kennengelernt, die versucht haben, alleine mit ihrer Krankheit klarzukommen und irgendwann völlig zusammengebrochen sind. Das sind dann die Leute, die selbst in der Klinik noch allen erzählen, es wäre ja gar nicht so schlimm und darauf beharren, dass sie möglichst schnell wieder entlassen werden, um keinen „beruflichen Schaden“ zu nehmen.

Ich erinnere mich dabei an einen Mitpatienten, der eine kleine Baufirma betrieben hat und jeden Tag um die 15.000 Euro an Geld verloren hat, weil ohne ihn die Arbeiten nicht weitergingen und die gemieteten Maschinen still standen. Wie erdrückend muss diese Situation sein?

Es fällt halt nicht jeder in so ein „weiches Beamtenbett“ wie ich. Ich habe hier großes Glück. Trotzdem habe ich sehr stark das Gefühl, dass ich jetzt mein Leben lang damit zu tun haben werde. Depressionen gehen nie ganz weg – da habe ich mit meinem Long Covid echt die Arschkarte gezogen. Aber auch die vielen Leute, mit denen ich geredet oder geschrieben habe, berichten davon, dass sie irgendwann/irgendwie eine gute Strategie entwickelt haben, mit der Krankheit umzugehen. Grundsätzlich bleibt man aber immer anfällig für Rückfälle.

Ich wäre gerne wieder der Alte. Ihr wisst schon: Der Typ, der zwei Jobs macht und trotzdem genug Content für die Community raushaut. Mir fehlen die guten, alten Tage sehr. Und glaubt mir bitte, wenn ich Euch sage, dass ich unglaublich gerne wieder Vlogs und mehr Content machen würde, mir aber schlicht und einfach die Kraft dafür fehlt. Wenn ich nach nem langen Schultag nach Hause kommen, bin ich oft so fertig, dass ich einfach nur noch schlafen will, um für den nächsten Tag halbwegs fit zu sein. Zum Glück habe ich eine tolle Schule mit nem noch tolleren Schulleiter, der meine Probleme kennt, super gut damit umgeht und mich unterstützt, wo er nur kann. Mir ist klar, dass nicht jeder Chef so ist – aber ich wünschte es mir sehr…

Und hey, warum können wir uns nicht alle „einfach mal zusammenreißen“, hab ich recht?

Was mich rasend interessiert ist die Frage, wie viele von Euch auch mal Depressionen zu tun hatte oder haben. Daher hänge ich mal einen anonymen Vote an:

Hattet Ihr schon mal mit Depressionen zu tun?

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23 KOMMENTARE

  1. Aktuell frage ich mich, ob es nicht einen schmalen Grad zwischen Depressionen und Phasen der Traurigkeit gibt.
    Ich habe die letzten Jahre immer mal wieder gedacht, dass ich depressive Phasen hatte. Dass ich nicht wirklich depressive Phasen hatte, habe ich erst gemerkt, als ich vor einigen Wochen mit dem Rauchen aufgehört habe: Bekanntermaßen erleben viele Raucher beim Entzug wirkliche Depressionen.

    Bei mir hatten diese Entzugs-begleitenden realen Depressionen folgende Ausmaße:
    – Komplette Energielosigkeit (nur noch schlafen wollen)
    – Absolute und unreflektierte Traurigkeit. (Ich meine mir was bewusst, dass die Gedanken, die mich traurig machen nicht rational oder logisch sind)
    – Zukunftsängste
    – Heulattacken (ich heule eigentlich nie)
    – Absolute Konzentrationslosigkeit und Lethargie

    Ich weiß, dass das bei mir eine Phase ist, die jetzt schon besser wird, aber mir vorzustellen, dass es da draußen Leute gibt, die sowas dauerhaft ertragen müssen, hat mir echt nochmal die Augen für das Problem geöffnet.

  2. Ich kenne 2 Menschen mit einer diagnostizierten Depression, die haben das beide mit Medis halbwegs im Griff. Was mir in letzter Zeit häufig begegnet: Selbst diagnostizierte Depression. Es ist eben keine Depression wenns einem mal ein paar Tage schlecht geht oder antriebslos ist. Wenn ihr glaubt, ihr habt sowas, geht zu einem Psychiater. Der kann helfen, vielleicht ist es auch etwas anderes wo er dennoch helfen kann (ging einem guten Freund so). Quatscht nicht mit Esoterik Leuten oder selbsternannten „Psychologen“ ohne entsprechende Diplome.

    Nicht falsch verstehen, ich möchte die Krankheit weder runterreden noch jemandem absprechen. Aber es fällt mir halt auf, dass viele Leute eben keine wirkliche Expertenmeinung einholen.

  3. Warum redet keiner drüber? Fängt ja schon mit einem Beispiel aus deinem Lebensbereich an: Es gibt Bundesländer da kannst du gar nicht mehr Beamter werden, wenn du mal wegen der Psyche in Behandlung warst…
    Also schön lügen und sagen es ist alles in Ordnung.

  4. > Und hey, warum können wir uns nicht alle „einfach mal zusammenreißen“, hab ich recht?
    Ich kann wirklich nur allen raten sowas beruflich einfach nicht mit sich machen zu lassen. Es gibt gute Chefs auf dieser Welt, aber die meisten nutzen einen leider eiskalt aus wenn man sich kulant zeigt. Sei es Pflichten von kranken Kollegen übernehmen oder unbezahlt Überstunden wegen XYZ. Wenn es jetzt eine absolute Ausnahmesituation ist, klar kann man das ein paar Tage machen. Aber das war es dann auch. Natürlich kann das für den Rest des Teams unangenehm sein, aber soll ich das ausbaden und mich schlecht fühlen nur weil der Chef zu geizig ist genug Leute einzustellen damit das Team einen kranken Kollegen aushält?
    Dieses mit sich machen lassen ist denke ich ein großer Treiber des Unglücks in unserer Gesellschaft. Bei Familie und Freunden ist das was anderes, da nehme ich mir gut und viel Zeit und versuch mein Bestes, egal ob ich davon was habe oder nicht. Aber dem BWLer in der Chefetage erlauben mich auszubeuten? Haha

  5. Ich bin jetzt 30 und bin seit 4 Jahren in Therapie, wovon 2 Jahre mit Medikamentöser einstellung durch einen Psychiater war.
    Ich fühle soooo viel von dem was du schreibst.
    Vorallem dieser Aspekt von „toxischer Männlichkeit“. Selbst mit mitte 20 denken die Leute, da du als Kerl doch keine Depression haben kannst. „Heul halt Leise Chantal“. „Trink dir 2 Bier“. „Bums mal wieder“ und wenn das nicht Hilft „stell dich schlicht nicht so an.“
    Das ist leider keine Übertreibung in der Ansicht was Leute gegenüber Männern haben.
    Zum teil bestärkt man das durch seine eigene „maske“ selber. Ich war in Jahren der Depression IMMER der der an Abenden am Lautesten gelacht hat, auf alles noch den Xten Gag wusste, der der bei allem dabei war und vorallem nie traurig aussah. Das man aber am ende aber alleine zuhause saß , bzw wenn man alleine war, komplett leer war und in allem keinen Sinn gesehen hat. Das bemerkt dabei leider keiner.(wie auch)

    Ich hab vor einem Jahr beschlossen Offener mit der Depression umzugehen und einfach Leute aus meinem leben zu streichen die damit genau so Toxisch umgehen. Das hat zwar so manche „freundschaft“ gekostet. Aber genau so leute sind es die dich am ende auch nur herunter ziehen und dir eher Schaden.

    Mir geht schon besser , vorallem im Kontext zu Damals wo ich auch eingestellt war, aber vorallem dieses „es kommt in schüben immer mal wieder“ ist das was einen vlt für immer Belasten wird.

    Ich wünschte es gäbe mehr Leute die darüber offen sprechen.

  6. Hallo Steve,

    mein Dad ist letztes Jahr gestorben. 3 Monate später bin ich in eine depressive Episode „gerutscht“.

    Ich habe mich an deine Erzählungen darüber früher erinnert und es hat mir dabei geholfen sie zu verarbeiten.

    Und ich gehe damit sehr offen um (seit Beginn an).
    Aber mir ist bewusst das das nicht für jeden so einfach ist wie für mich.

    Danke daher für deine Offenheit!

    Nächsten Monat beginne ich, mich wieder für Firmen zu bewerben. Und ich bin hin und her gerissen ob ich das Thema offen beim Bewerbungsgespräch anspreche.
    Mir ist natürlich bewusst, es kann ein Nachteil sein.
    Allerdings sehe ich mich damit auch als Vorbildfunktion.
    Und will ich wirklich in einer Firma arbeiten, welche damit nicht einen offenen Umgang hat?

    Alles gute dir auf deinem weiteren Weg!

  7. Mir wurde vor einigen Jahren eine schwere Depression diagnostiziert. Nach 2 Jahren Behandlung (Psychologie und Psychotherapie) und einen (zum Glück) nur zeitweisen Ausflug in die Welt der Medikamente (in meinem Fall SSRI) habe ich die ganz dunkle Phase jetzt ca. 2 Jahre hinter mir gelassen.

    Aber wie Du auch schreibst: Es scheint nie wirklich zu verschwinden. Das hatte mir mein behandelnder Psychologe damals auch schon prophezeit. Er sagte es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass es die ersten Male, wenn es wieder auftaucht, als deutlich schlimmer empfunden wird als der sich eingestellte Dauerzustand. Das war auch so.

    Inzwischen habe ich alle paar Tage oder Wochen Phasen, wo ich merke dass ich aktiv gegenhalten muss und habe da auch so inzwischen meine Strategien für. Ich merke das inzwischen zum Glück recht früh und habe auch immer sehr offen kommuniziert was los ist. Ich hatte Phasen, da bin ich von der Straße weggelaufen und habe mich hinter Hausecken versteckt, wenn ich Bekannte gesehen habe, weil ich mich einfach nicht unterhalten konnte. Natürlich haben die das gemerkt.
    Dass die sich dann fragten ob es an ihnen lag, hat das am Anfang nur noch schlimmer für mich gemacht. Also hab ich irgendwann den Weg nach vorne gesucht und bin offen mit der Krankheit umgegangen. So wie Du auch. Meine Frau hat mich sehr unterstützt und alle haben es verstanden – auch im Job.

    Inzwischen dauert es manchmal nur wenige Minuten, manchmal einen halben Tag und manchmal auch einen Tag, den mich ein wiederkehrender Schub raushaut. Aber nach max. 1 Tag verschwindet es jetzt fast immer. Wie so oft sitzt man dann am nächsten Tag da und fragt sich „Was war das gestern? Wie ist das passiert? Warum habe ich dies und das und nicht dies und jenes gedacht/ gemacht? Was war das los mit mir?“ – aber daran habe ich mich gewöhnt. Früher waren diese Fragen existenziell für mich und ich habe permanent an mir gezweifelt. Heute schüttel ich das ab, weil ich weiß ja, dass ich krank bin – und komme schnell wieder auf ein jetzt normales Level.

    Gemessen an meinem Wesen von vor 10 Jahren komme ich in den Punkten Glückempfinden und Zufriedenheit vielleicht noch auf 70%, selten auf mehr. Aber hey: Ich war echt ganz tief unten, habe mein soziales Umfeld, meine Firma und vor allem meine Familie noch und es könnte so viel schlimmer sein.

  8. Statistisch erleidet in Deutschland jeder dritte bis vierte im Jahr eine psy. Erkrankung. Dabei sind Angststörungen und Depressionen die häufigsten Erkrankungen. Demnach ist deine Wahrnehmung nicht falsch. Und es ist auch kein „Gamer“ Problem. Sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem, welches leider keine Lobby hat.
    Das Hilfesystem ist völlig überfordert und Therapieplätze und Plätze in der EGH (Eingliederungshilfe, in der ich als Sozial Arbeiter arbeite) sind Mangelware. Die Ämter haben leere Kassen und und wälzen den Druck auf die Leistungserbringer ab.
    Aus der Forschung ist bekannt, dass ein enges Hilfenetzwerk immer dazu beiträgt den betroffenen am besten zu helfen. Doch in Zeiten von FK Mangel und die Situation auf den ländlichen Regionen ist das schwierig zu realisieren.
    Familie, Freunde ein vertrauensvolles Kollegium und die empathische Fähigkeit von Mitmenschen ist die erste und eine der wichtigsten Stützen, die man in solchen Situationen haben kann.
    Die Infos werden dir nicht neu sein und sicher auch nicht direkt helfen, doch bin ich davon überzeugt, dass das Wissen darüber nicht allein zu sein vielen helfen kann die Angst davor zu verleiren, damit offen umzugehen und sich aktiv Hilfe zu suchen.

  9. Lieber Steve, ich lese jetzt schon seit 2009 still mit und wollte mich an dieser Stelle einmal äußern. Zunächst alles Gute und alle Kraft für deine Situation! Mein Problem ist leider umgekehrt, mir wurde in meinem Leben häufig nachgesagt oder unterstellt, ich hätte Depressionen, da meine Stimme häufig sehr unmotiviert oder träge klingt. Ich selbst habe mich aber nie so gefühlt. Das Ganze ging so weit, dass ich eine Therapie gemacht habe, die ich eigentlich nicht wollte. Durch das ständige Gerede, dass ich doch depressiv wäre, habe ich diese trotzdem begonnen. Ich bereue diese nicht, und würde jedem empfehlen, es zumindest zu probieren. Mir wurde im Grunde bestätigt, wie ich mich selbst schon immer gefühlt habe: psychisch gesund. Nur um mich herum gab es einige Probleme. Als ich das Umfeld gewechselt habe, wurde es exponentiell besser. Der Schein trügt häufig!

  10. Ich hatte als Leitender Angestellter einer 1000+ Mitarbeiter Firma bei 5 Teams mit 35+ Mitarbeitern meine Stressprobleme zu Corona bekommen. Das eine Kind im Homeschooling mit LRS und das andere Kind gelangweilt weil es seine Freunde aus der Kita nicht sehen konnte. Irgendwann wurde es zuviel. Arbeit ging noch. Aber das Zuhause mit ständig streitenden Kindern und gleichzeitigigen home Office endete in 3 Wochen krank. 1 Woche Arbeit und dann wieder 2 Wochen krank.

    Am Ende hat mir MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction) geholfen. Ich hatte da einen 5 Tage Bildungsurlaub gemacht und auch mich viel mit Meditation beschäftigt.
    Aktuell meditiere ich kaum noch. Erkenne aber viel besser meine stresstrigger und handle entsprechend. Und ich kann mit vielen Dingen besser umgehen weil ich meine Einstellung dazu gut anpassen kann.

    Hätte ich das nicht geschafft wäre es bestimmt noch schlimmer geworden. So war es „nur“ viel Kopfschmerzen und andere Körperlichen Symptome.

  11. Als sich letzten November der Todestag von Robert Enke gejährt hat, hat man mal wieder die Videos von Zwanziger und Bierhoff unter Tränen herausgekrammt, die mehr Menschlichkeit und Verständnis gefordert haben.

    Jedoch hat sich 15 Jahre später nicht viel geändert. Obwohl es mehr psychologische Betreuungsangebote gibt, streuben sich viele Spieler diese anzunehmen und dadurch als potentielles Risiko und Schwach dazustehen.

    Die Presse vernichtet Spieler, die in schlechter Form sind oder sich schwere Patzer geleistet haben, mit der gleichen Passion und Gusto wie eh und je.

    Und wie viel Empathie man auf sozialen Plattformen für die „überschätzten Millionäre“ findet, ist ja auch hinlänglich bekannt. Von „Fans“ die echten Hass gegen Spieler anderer Teams empfinden, wollen wir gar nicht anfangen.

    Jeder ist immer bestürzt, wenn die Tragödien passieren, aber zwei Wochen später, sind alle wieder ihr altes hässliches Selbst. KEIN VERSTÄNDNIS, KEIN MITGEFÜHL, KEINE GNADE.

  12. Ein Problem mit Depressionen als Gesellschaftsproblem ist sicherlich, dass wir keine Vergleichswerte haben. Es heißt immer so schön „früher hat es sowas nicht gegeben!“. Wisst ihr, wozu man das noch gesagt hat? PTSD/Shell Shock. Erst der Erste Weltkrieg hat das Thema ganz allmählich auf die Tagesordnung gebracht. Und siehe da: Als man dann genauer hingeschaut hat, hat man plötzlich sogar schon in antiken Schriften und Erzählungen anzeichen dafür gefunden, dass schon die römischen und griechischen Soldaten der Antike vermutlich unter PTSD litten.

    Dazu kommt der heutige Leistungsdruck. Dabei mein ich gar nicht so sehr, dass alle so hart und lange arbeiten – in vielerlei Hinsicht haben wir es heute viel besser als früher, gar keine Frage. Es ist eine grundsätzliche Mentalitätsfrage. Früher hat man gearbeitet, um zu leben. Bzw. eher, damit die Familie leben konnte, man selber hatte meistens nicht so rasend viel davon. Heutzutage arbeitet man aber nicht um zu Leben, sondern um „seine Rolle“ zu erfüllen. Leistung ist kein messbarer Wert mehr, es geht nur noch darum, noch mehr Leistung zu bringen. Blöderweise fehlt so ein bisschen die Karotte am Ende des Tunnels. Heute verspricht man uns für ein Leben voller harter Arbeit nicht mehr das Königreich Gottes, sondern Altersarmut, weil wir alle nicht genug Leistung gebracht haben.
    Und das System ist ja selbsterhaltend, schließlich kann man daraus nicht einfach ausscheren. Wenn du keine Leistung mehr bringen willst, dann bist du offensichtlich auch nichts Wert. Und Schwäche eingestehen willst du doch erst Recht nicht, oder?

    Was ich nicht beweisen kann, wovon ich aber fest überzeugt bin: Ich glaube, zum allgemeinen Weltschmerz und dem Leistungsdruck kommt das latente Gefühl, dass es so gar nicht sein müsste. Das wir als Spezies und das Leben eigentlich viel einfacher machen könnten, wenn nur alle mitziehen würden. So eine gewisse Form von Dauerfrust stellt sich da vermutlich ein.

    • „…Leistung ist kein messbarer Wert mehr, es geht nur noch darum, noch mehr Leistung zu bringen. “

      absolute zustimmung, wir haben uns mittlerweile, moderne arbeitswelt sei dank, so weit von den ergebnissen „weg-abstrahiert“ das unser direkts oder indirektes handeln kaum noch irgenwie ein „geschafft“-gefühl triggert.
      ich z.b. trage auf arbeit teilweise zwei tage die woche (zum glück maximal einmal im quartal) zahlen aus diversen excellisten zusammen, 16h auf tabellen schauen, klicken, markieren, kopieren, repeate. wenn ich die tabelle dann wegschicke gibts ein „ok, danke“ und weiter gehts. ich hab keine ahnung ob es was besser macht oder schlechter wenn ich schneller bin, ob da IRGENDWAS von abhängt oder nicht (ich nehme an schon, sonst wärs echt unnötig), ich bin komplett entkoppelt davon was das beeinflusst. ich komm da immer abends heim und weiß nicht wo mir der kopf steht, brauch erstmal ne zeit bis ich wieder ich selbst bin.
      dafür ist die restliche zeit genau das gegenteil: disponent für servicetechniker, kundensupport beim kunden auf anlagen, projektierung von umbaumaßnahmen etc. da merk ich SOFORT wenn was gut oder schlecht lief. es ist super super rewarding am freitag in der gesprächsrunde (9-12 uhr 😀 ) an der kaffemaschine zu stehen und auch mal von kollegen zu hören: „xY hat gesagt, war sehr nice die woche, lief besser als erwartet, die können jetzt 20% mehr produkte durch die linie fahren als vorher, die idee kam doch von dir, oder?“ oder ein „der technische einkauf, oder besser gesagt die frau maier pErSöNlIcH!! lässt dir dank ausrichten, die nächsten aufträge gehen an uns“.
      das sind erfolgserlebnisse die man braucht, direkts feedback zu aktionen, das macht glücklich und nimmt dieses abstrakte des jobs weg.
      ich fahr auch gern zu kunden und leg mich unter die maschine, einfach um zu spüren das mein job nicht nur copy-paste ist sondern auch ne praktische komponente hat und ich da einen direkten einfluss drauf habe.
      ich glaube aber auch nur wenige haben diesen luxus und so gute kollegen die das gerne mit einem teilen. und das würd ich gerne noch länger haben. vorher hatte ich das in meinem alten job den ich 8 jahre gemacht habe nicht wirklich, da war man immer der buh-mann wenns nicht lief aber auch wenns lief.

  13. „Toxische Männlichkeit“ ist ein Teil des Problems und wie wir Männer mit unseren Problemen umgehen. Wir haben Geschlechterbilder von klein auf überall vorgelebt bekommen, angefangen mit der Verteilung der Hausarbeit zwischen unseren Eltern. Die Anforderungen, die aus diesen Rollenvorstellungen entstehen, beeinflussen maßgeblich unseren Umgang mit Herausforderungen und Problemen. Die Folge: Die Gesprächskultur über Ängste und Probleme ist unter Männern nicht sehr ausgeprägt.

    Im veralteten Rollenbild des Mannes ist einfach kein Platz für Schwäche.

    In unserer Gesellschaft wird von Männern oft erwartet, stark und unverwundbar zu sein. Sobald ein Mann Schwäche zeigt, erfüllt er diese stereotype Rollenvorstellung nicht mehr und wird möglicherweise nicht mehr als „normaler Mann“ wahrgenommen. Angesichts der negativen Reaktionen, die Menschen erfahren, die von den gesellschaftlichen Normen abweichen, ist es verständlich, dass viele Männer zögern, über ihre Schwächen zu sprechen.

    Befeuert werden diese Rollenbilder noch durch Influencer wie Andrew Tate. Der behauptete ernsthaft das Depression keine Krankheit sei. Gefolgt von Maximilian Krah der jungen Männern auf Tiktok erklärt was Männlichkeit überhaupt bedeutet.

    Ergebnis: Männer feiern sich dafür wenn sie jahrelang nicht zum Arzt gegangen sind. Das böse Erwachen gibt es dann wenn es zu spät ist, weil Vorsorge dementsprechend auch ausgeblieben ist.

    Umso wichtiger das du so offen über deine „Schwächen“ schreibst und deine Erfahrungen teilst. Vielen Dank!

    • Toxische Männlichkeit ist der Auslöser?

      Also ich seh das eher umgekehrt. Seit mir meine Psychologin gesagt hat das mein Körper einfach nicht dafür gebaut ist dauernd vorm PC zu sitzen, in der Bude rum zu hocken oder jedem Streit aus dem Weg zu gehen… sicher helfen Medikamente aber die sind mMn nur eine Übergangslösung
      Seit dem ich Sport (gym Jiujutsu und laufen) mach mich gesund ernähre meine Arbeit geändert und meine Bildschirmzeit auf ein Minimum zurück geschraubt hat läufthald einfach besser.

      Schwäche… was ist das überhaupt – wenn du dich verwundbar fühlst ist das schön aber man muss akzeptieren das niemand kommt und dich rettet- das kannst allein du – mir hat meine Familie geholfen – ich mach das für meine Frau und meine beiden Kinder – die haben einen Anspruch auch einen fitten Vater der Verantwortung übernehmen kann und deren Probleme mit tragen kann. Und wenn man das alles aktuell nicht schafft ist es zumindest ein Ziel auf das man hin arbeiten sollte. Schwächen sind ok daran nicht zu arbeiten ist es nicht

      • Die Wissenschaft sieht das so wie ich:

        „Eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2014 zeigte, dass toxische Männlichkeit mit der psychischen Gesundheit von Männern zusammenhängen kann. Ergebnisse einer weiteren Studie deuten darauf hin, dass Männer bei Bedarf seltener eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen – aus Angst, schwach zu erscheinen oder nicht in der Lage zu sein, für ihre Familie zu sorgen. Diese Denkweise kann Männer auch davon abhalten, wichtige Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen. Es zeigt sich außerdem, dass toxische Männlichkeit mit einem gesteigerten Risikoverhalten, vermehrten Suchtmittelmissbrauch sowie einer erhöhten Suizidrate assoziiert sein kann.“
        https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/psychologie/was-ist-toxische-maennlichkeit/

  14. Ist jetzt keine „klassische“ Depression aber ich habe erst heute stressbedingt die Notbremse gezogen.. Durch ständige, wochenlange Unterbesetzung war ich die letzten Tage wieder so dermaßen kaputt und gereizt, sowohl Kollegen als auch Kunden im Verkauf gegenüber, dass ich nur wenige Tage vor meinen Urlaub nicht mehr konnte.
    „Zum Glück“ kenne ich die Symptome von meiner letzten langen Erkrankung (2018) noch allzu gut, dass ich da noch rechtzeitig reagieren konnte. Auch wenn ich zugeben muss, dass mich das einiges an Überwindung gekostet hat, sich das wieder einzugestehen.

    Mir tun nur meine Kollegen leid, die das jetzt noch diese Woche ausbaden müssen. Ich glaube allein deswegen machen viele Menschen einfach weiter und schleppen sich irgendwie durch..

      • absoluter albtraum, hatte ich letztes jahr, war kurz vorm burnout, obwohls „nur“ 2 wochen waren. hab meinem chef dann aber klipp und klar gesagt: wenn das nochmal passiert wirds nicht wieder mich geben der zwei wochen 14h schicht schiebt damit das irgendwie läuft. organisier deine leute (also uns) besser sonst gibts dienst nach vorschrift und dann fäll nach max. 10h der hammer und mir ist alles egal. ich bin doch nicht der puffer der unfähige managementenscheidungen auffängt.

        langsam scheint sich in der industrie (zumindest hier bei uns) in der gegend die einsicht durchzusetzen das wir in 5 jahren ein riesen problem haben wenn die ganzen babyboomer in rente gehen. das fällt schon in unserer abteilung auf wo in 5 jahren, stand jetzt, einfach mal 5 von 10 mitarbeitern fehlen werden, das sind nicht irgendwelche dullis oder so sondern leute die die firma mit aufgebaut haben und wissen wie der hase läuft. die alles irgenwie gewuppt bekommen. und die sind dann weg, und langsam erkennt man „wir sollten dafür vlt. schon mal ersatz finden, evtl. rechtzeitig???“
        und nicht auf den letzten drücker (sorry, 4 monate einarbeitung sind einfach keine arbeit sondern kurzzeitbeschäftigung) und dann jemanden der einfach viele „scheine“ hat die eigentlich garnix bringen, wir brauchen da leute mit „hands on“ mentalität, stichwort „wir können nicht alle mit nem macbook und nem chai latte in nem coworkingspace in berlin sitzen und die 10. dating-app entwickeln“

        kleine story aus meiner alten firma dazu:
        war um 2016 rum, ältester projekleiter kündigt an in 2 jahren fällt der hammer, firma „ja is halt so“. bis denen mal jemand gesagt hat was der kerl alles kann und vorallem macht! der war für den raum südamerika zuständig, wenn du den irgendwas gefragt hast, seis über die firma oder das land oder import/export, der wusste was dazu.
        wir haben immer gesagt: wenn wir koks brauchen, der mann schafft das hier rüber und bekommt noch zollpapiere dazu, so gut kennt der die leute da überall (das ist kein witz, der kannte gefühlt das halbe land was export und import betrifft).
        nunja und der hat keinen adäquaten nachfolger bekommen, das wissen um alles ist WEG, das kommt nicht mehr, das ist futsch. mein chef meinte so lapidar beim kaffe morgens: „wenn ich dem sein chef gewesen wäre hät ich dem ab ankündigung von den 2 jahren nen jungen studenten an die seite gesetellt und gesagt „wo der hingeht gehst auch du hin, wo der isst isst du auch, wo der schläft schläfst du, wo der scheißt scheißt du auch“ allein wegen den connections wärs unbezahlbar und die sind weg und wir mussten 2! leute einstellen wo jeder so viel kostet wie der alleine, und der werner hat schon gut verdient.“

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