In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Berichte darüber, dass man es als VFX-Artist nicht unbedingt einfach hat, wenn man an einem Film von Marvel arbeiten muss. Neben Gerüchten und groben Umschreibungen gibt es zu diesem Thema jetzt aber auch noch einen äußerst interessanten Bericht, der viele der Missstände und Probleme dieser Branche auflistet. Dieser Beitrag wurde auf Vulture veröffentlicht und von Chris Lee auf Basis der Aussagen eines dieser VFX-Artist verfasst.
Laut dem Beitrag lassen sich alle diese Probleme wohl grob in zwei Kategorien einteilen. Dabei handelt es sich erst einmal um das komplette Überarbeiten der angeheuerten Techniker. Dadurch entwickelt sich die Arbeit an Marvel-Filmen wohl recht schnell zu einer Crunch-Hölle mit extremen Überstunden. Das zweite übergeordnete Problem sind die Verantwortlichen und Regisseure, die keine Ahnung von Spezialeffekten haben und wohl laufend unfaire Forderungen stellen.
Marvel veröffentlicht unglaublich viele Filme und andere Projekte. Deshalb hat die Firma sehr viel Macht, die sie gegenüber den auf Spezialeffekten spezialisierten Unternehmen ins Spiel bringen kann. Wer Marvel auf die eine oder andere Weise verärgert, der erhält in Zukunft einfach keine Aufträge mehr. Deshalb müssen auch alle Unternehmen versuchen, diesem Geldgeber möglichst alle Wünsche zu erfüllen.
Wenn ein Projekt entsteht, dann dürfen die VFX-Firmen darauf bieten und das niedrigste Gebot wird angeheuert. Marvel ist damit zufrieden, weil es dadurch Geld spart. Bedauerlicherweise sorgt das Ganze aber dafür, dass die zugeteilten Teams nicht vollständig sind und die Firmen weniger Mitarbeiter für die Projekte bereitstellen. Während normale Filme an die 10 Techniker besitzen, so können für Marvel-Filme oft nur 2 Techniker abgestellt werden. In diesen Situationen erledigt dann jeder Mitarbeiter deutlich mehr Arbeit.
Wer für ein Projekt von Marvel eingeteilt wird, der muss mit extremen Überstunden rechnen. Dem Bericht zufolge sind in solch einer Situation Arbeitswochen von 7 Tagen keine Seltenheit. Zusätzlich dazu arbeitet die Künstler in der Zeit im Durchschnitt 64 Stunden in einer guten Woche. Die für den Bericht zurate gezogene Quelle hat wohl bereits gesehen, wie Mitarbeiter zusammengebrochen sind oder anfangen mussten zu weinen. Die Arbeitslage kann Panikattacken und andere Probleme auslösen.
When I worked on one movie, it was almost six months of overtime every day. I was working seven days a week, averaging 64 hours a week on a good week. Marvel genuinely works you really hard. I’ve had co-workers sit next to me, break down, and start crying. I’ve had people having anxiety attacks on the phone.
Was den Mangel an Wissen der Verantwortlichen betrifft, so sind viele von Marvels Regisseuren einfach nicht vertraut mit modernen Spezialeffekten. Diese Mitarbeiter wissen einfach nicht, wie sie mit etwas arbeiten sollen, was noch nicht vorhanden ist. Deshalb fragen diese Regisseure oft nach sogenannten „Final Renders„. Dabei handelt es sich um vorläufige Aufnahmen von den laufenden Arbeiten, sodass man sich einen Eindruck von dem Projekt machen kann. Marvel verlangt diese Aufnahmen deutlich häufiger, früher und umfangreicher als es normalerweise der Fall ist. Das Ganze benötigt extrem viel Arbeit und Zeit.
Zusätzlich dazu scheint Marvel im Verlauf der Arbeit immer wieder nach Änderungen und Anpassungen zu fragen. Dadurch entsteht noch mehr Arbeit für die sowieso schon überforderten Techniker. Einige der Wünsche von Marvel fallen dabei dann sogar enorm umfangreich aus. Beispielsweise hat Marvel wohl bereits einige Monate vor der Veröffentlichung eines Films gewünscht, dass man den kompletten dritten Akt einer Produktion überarbeitet. Ein anderes Studio konnte diesen Wunsch nicht erfüllen, weshalb das Studio der Quelle das Projekt in der Zeit beenden musste. Das andere Studio steht jetzt wohl auf einer schwarzen Liste.
Die Forderungen und Wünsche sind besonders problematisch, weil Marvel so viele Projekte hat. Das Unternehmen ist sehr unflexibel bei den Veröffentlichungsterminen ihrer Filme und es verschiebt solche Termine nur sehr ungern. Trotzdem fordert es noch bis zu der letzten Sekunde immer wieder größere Anpassungen, Reshoots und andere Änderungen an den Filmen. Dieses Verhalten ist schon seit einiger Zeit ein Problem in der Branche und Marvel scheint sich nicht zu ändern.
VFX-Techniker beschreiben die Arbeit an Marvel-Filmen mit den Worten “getting pixel-fucked”. Dieser Begriff beschreibt ein Unternehmen, welches einen Film bis zu jedem Pixel der Aufnahme kontrollieren möchte und extrem kleinlich ist. Diese Clients wissen oft gar nicht wirklich, was sie sehen möchten. Trotzdem lassen sie ihre Techniker immer wieder an Projekten arbeiten und neue Versionen von Szenen erschaffen. Dadurch stößt man dann irgendwann scheinbar auf einen Aufwand, der den Kunden gefällt und passt. Natürlich stellt das Ganze sehr viel unnötigen Aufwand dar.
The main problem is most of Marvel’s directors aren’t familiar with working with visual effects. A lot of them have just done little indies at the Sundance Film Festival and have never worked with VFX. They don’t know how to visualize something that’s not there yet, that’s not on set with them.
Laut dem Beitrag muss Marvel die Problematik auf zwei Weisen angesehen. Erst einmal sollte die Firma ihre Regisseure besser schulen und sie in dem Umgang mit Spezialeffekten trainieren. Gleichzeitig wäre es gut, wenn das Studio diese Filmemacher stärker kontrolliert und sie zu Entscheidungen und Plänen zwingt. Die zweite notwendige Lösung ist eine Gewerkschaft für die Arbeiter. Die Bewegung in diese Richtung wächst immer weiter, weil Auktionen für Aufträge und das Ausnutzen der Techniker keinen sinnvollen Weg darstellen.
Mich persönlich überrascht nicht wirklich, wie stark die VFX-Artists in diesem Fall ausgenutzt werden. Scheinbar ist solch ein Verhalten nur ganz natürlich, wenn die Mitarbeiter sich nicht schützen können. Ansonsten rechne ich damit, dass dieser Beitrag viel negative Presse für Marvel produzieren wird. Das Ganze liest sich einfach nicht schön und es wirft ein durchaus negatives Licht auf all die hübschen Superhelden-Filme.
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Warum ist Marvel nochmal schuld, dass die Firmen, die angeheuert werden, so billig werden und dann deren Mitarbeiter knechten?
Die Firmen sind Schuld, die mit einer offenbar klar definierten Aufgabe selber so weit runter gehen, dass es dem Mitarbeiter weh tut. Sprich die „tolle freie Marktwirtschaft“ und ein CEO, der gut daran verdienen wird, sind schuld.
Das macht keine andere Firma, kein Staat bei öffentlich Aufträgen, selbst die meisten von euch nicht anders. Bei derselben Leistung zahlt selten einer absichtlich mehr.
Hier wird gerade in dem Artikel Kraut und Rüben vermischt.