Meine Mutter hat sich von meinem Vater scheiden lassen, als ich sechs Jahre alt war. Bis zum heutigen Tag gibt sie als Grund dafür an, mein Vater hätte sich gehen lassen. Für mich ist dieses Wort und die Sache an sich dadurch zu einem „roten Tuch“ geworden.
Wie und warum lässt man sich in einer Beziehung gehen? Warum merkt man oft erst zu spät, dass man sich gehen lassen hat? Warum kann man sich oft nicht dagegen wehren?
Innerhalb meiner Therapie, und der damit verbundenen Selbstreflexion, habe ich festgestellt, dass ich mich in meiner letzten Beziehung habe gehen lassen. Meine Therapeutin entgegnete darauf, dass dies überaus menschlich sei. Je länger man sich in einer Beziehung befinden würde, desto mehr würde man dazu übergehen, man selbst zu sein. Ist das wirklich so einfach? Wieso bereue ich es dann so sehr? Und vor allem: Wenn ich weiß, dass ich so ticke, und es mir auch bewusst ist, wieso mache ich es dann trotzdem?
Man kann sich auf viele Arten gehen lassen: Manche Menschen nehmen an Gewicht zu, andere sitzen nur noch auf der eigenen Couch, und noch andere furzen, dass sich die Balken biegen. Ich habe in zwei Beziehungen hintereinander den Fehler gemacht, den Wert meiner Hobbys und meiner Arbeit über den meiner Beziehung zu „hängen“. Immer nur vor dem eigenen Rechner zu sitzen und zu arbeiten (oder zu zocken), ist auch eine Form des „sich gehen lassen“. Was ich daran spannend finde, ist die Tatsache, dass ich beispielsweise immer wusste, dass ich mich gerade gehen lasse und meine Prioritäten falsch setze – und trotzdem habe ich die Sache durchgezogen. Ich konnte (und wollte) mich quasi dagegen nicht wehren. Viele Monate später ist mir diese Handlungsweise völlig unverständlich, und ich schäme mich sogar dafür.
Wieso schafft man es, sich am Anfang einer Beziehung wie ein totaler Gentleman zu benehmen und verwandelt sich im Laufe der Jahre in Mr. Hyde? Müsste man dem Partner über die Zeit nicht so nah sein, dass man sich gerade deshalb benimmt? Oder ist es erst wahre Liebe, wenn man es toleriert, dass der Lebensgefährte so laut rülpst, dass die Wände wackeln?
Ich verstehe die Menschen einfach nicht. Und mich selbst verstehe ich manchmal ebenfalls nicht. Kannst Du mir das erklären, liebes Tagebuch?
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Hi Steve,
dein Leuchtturm und die Antworten hier sind sehr interessant, sodass ich jetzt auch einmal meinen Senf dazu geben muss.
Was verstehst du denn unter „sich gehen lassen“? Sind das bei dir normale Gewohnheiten, wie rülpsen, furzen etc.? Ist doch klar, dass das im Laufe einer Beziehung irgendwann kommt. Am Anfang hat man ja schließlich noch die rosarote Brille auf und die Hormone fahren Achterbahn – da ist es klar, dass man die Eigenheiten des Partners übersieht und alles toll findet.
Ich selbt bin seit über 9 Jahren glücklich mit meinem Mann zusammen, seit 3 Jahren sind wir verheiratet. Ich bin gerade mal 24 und er ist meine Jugendliebe. Bei uns passt der Spruch – Topf und Deckel haben sich gefunden. Wir respektieren uns gegenseitig, lassen uns unsere Freiheiten und jeder geht seinen Hobbys nach, und dass ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Wenn es gerade mal schwierig ist und uns was nicht passt, reden wir darüber uns streiten uns selbstverständlich auch mal richtig (mit Türen knallen etc. ;-)). Dann reflektiert jeder für sich und versucht, eine Lösung zu finden. Und das klappt auch 😉
Was ich dir damit sagen will: bei uns ist es auch nicht wie am Anfang. Das Wichtigste ist, dass einen der Partner so akzeptiert, wie man ist und mit den ganzen Macken zurecht kommt, die man hat. Und wenn man diesen Menschen gefunden hat, dann ist das „gehen lassen“ auch Nebensache. Denn andere Sachen sind einfach wichtiger. Die Mischung ist hier natürlich auch wichtig: Zeit für Hobbys und gemeinsame Zeit mit dem Partner dürfen einfach nicht zu kurz kommen. Und wenn das sich einfordert und einhält, kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Darin besteht die wahre Liebe – Akzeptanz und Freiheiten. Mein Lieblingsspruch, der genau das aussagt, ist: „Was du liebst, lass frei. Kommt es zurück, gehört es dir für immer“.
In diesem Sinne
Machen wir uns nix vor, das trifft auf beide Seiten zu. Am Anfang meiner Ehe hatte ich eine Schlampe im Bett und eine Hausfrau in der Küche, mittlerweile habe ich die Hausfrau im Bett und die Schlampe in der Küche.
Les mal das buch „Lob des Sexismus“ das ist sehr aufschlussreich.
Zitat: „Ich verstehe die Menschen einfach nicht. Und mich selbst verstehe ich manchmal ebenfalls nicht.“
Ein wichtiger Schritt in deiner Therapie wird sein, wenn du begreifst, dass es hier um dich geht. Um deine Beziehung. Darum, dass du sie durch dein Verhalten kaputt gemacht hast. Und wenn du aufhörst, deine Fehler auf andere zu projizieren. Wenn du zugibst, dass du dich selbst rückblickend nicht verstehst, nicht „die Menschen“. Wenn du kritisch mit dir selbst bist, nicht nur vordergründig. Wenn du erkennst, warum deine Denkweise, dass du „die Menschen“ nicht verstehst, aber dich selbst nur „manchmal“ nicht falsch ist. Wenn du dir nicht mehr vorspielen musst, dass du doch ganz ok bist, naja halt manchmal gibts ein kleines Problem, aber wer hat das nicht, aber „die Menschen“ die versteht man wirklich nicht…
Ich hoffe, deine Therapie bringt dich da hin.
Meiner Meinung nach gehört das „sich gehen lassen“ zu einer Beziehung ein Stück weit dazu. Klar versucht man sich am Anfang von seiner besten Seite zu zeigen. Aber das ist auch tierisch anstrengend. Was ist aber mit der eigenen hässlichen Seite? Wenn ich mich traue, meinem Partner auch meine Ecken und Kanten zu zeigen, wenn man sich in Krankheit kennt, mit übler Laune oder in den Klamotten, die man nicht mal zum Bäcker anziehen würde – erst dann entsteht doch auch ein gewisser Grad an Intimität, den man nie erreichen würde, wenn man das Image vom Anfang ewig hochhalten würde.
Von daher hat das sich gehen lassen durchaus auch seine Berechtigung.
Natürlich alles bis zu einem gewissen Grad.
Du beschreibst die Beziehung deiner Eltern und deine eigene. Und wie heißt es so schön in der Psychologie?
Wir wiederholen die Dramen unserer Kindheit so lange, bis wir sie gelöst haben.
Ein Teil von dir hat die Trennung deiner Eltern vielleicht nie so ganz verwunden?
Ist nur Spekulation. Wie dem auch sei:
Du stellst dich der Situation und schaust auf deine Fehler. In der Therapie wirst du lernen, in Zukunft achtsamer und aufmerksamer mit der Situation umzugehen.
Du bist bereit für die Erkenntnis und damit auf dem richtigen Weg. Bleib dran!
Auch wenn es langweilig klingt: Soweit ich weiß, funktioniert der menschliche Hormonhaushalt am Anfang einer Beziehung ein wenig anders als sonst. So gleichen sich der Testosteron- und Östrogenspiegel von Männern und Frauen etwas an, um die Geschlechterdifferenzen zu vereinfachen. Und das die Ausschüttung von Glückshormonen explodiert wird wohl jeder bestätigen, der schonmal verliebt ist (das bemerkt man auch ohne Kenntnisse von Biologie und Chemie).
Aber bin da auch kein Experte und will es jetzt nicht zu sehr „biologisieren“.
Ich denke, man lässt sich gehen, weil alle Dinge mit der Zeit ihren Reiz verlieren. Ein einfaches Beispiel: Wenn wir etwas neues kriegen, passen wir darauf auf. Ein neues Handy, ein neuer Fernseher oder sogar was größeres wie ein neues Auto oder ein neues Haus…wir werden immer ganz achtsam damit vorgehen und alles dreimal absichern. Aber wer hält schon das Versprechen „das sieht in drei Jahren noch so aus wie neu“? Früher oder später kriegt alles Flecken. Am Anfang stört uns das, später wird es hingenommen.
Der Trick ist wohl immer, gemeinsam den „neuen Anreiz“ zu setzen. Alleine geht das nicht, dass muss man zusammen schaffen.
Die Probleme hab ich ehrlich gesagt nie gehabt, bei mir kriegste exakt das was da ist, und wenn dir das nicht passt kannste dich auf gut Deutsch „ins Knie ficken“ was mich angeht.
Gilt für Beziehungem und Freundschaften etc. bei mir, ich verstelle mich in der Hinsicht nicht künstlich um irgendwem zu gefallen weil das auf lange Sicht eh nichts bringt in meiner Ehrfahrung, mit nem Menschen der sich an mir „au natural“ stört will ich sowieso nichts grossartig zu tun haben.
Im Endeffekt hilft Ehrlichkeit dir selbst und anderen Gegenüber mehr in ner Beziehung als Beliebt zu sein, oder krampfhaft zu versuchen aus etwas das von vornherein nicht funktioniert ne Beziehung zu machen.
Allerdings liegt das vmtl. auch an dem Gesellschaftlichen Druck als Mann ab nem gewissen Alter in ner Beziehung zu sein, oder zumindest wechselnde „Damenbekannschaften“ zu haben, weil man ja sonst als Versager gesehen werden könnte. Bei Frauen ist das vmtl. ähnlich mit der Erwartungshaltung von anderen.
Mir fällt es gerade schwer, zu erfassen, was du mit „sich gehen lassen“ jetzt wirklich meinst. Im einen Satz sprichst du von „man selbst sein“, später von „Prioritäten falsch setzen“; meiner Meinung nach zwei Dinge, die sehr unterschiedliche Ursachen und Folgen haben.
Ersteres finde ich grundsätzlich super, weil ich, vor Allem bei Leuten in Beziehungen, sehr oft merke, dass sie sich sehr verändern und meistens beklagen sie sich selbst dann am meisten darüber. Ohne etwas daran zu ändern natürlich.
Letzteres ist wohl eindeutig ein Problem, das sich im Leben jedes Menschen in sämtlichen Lebenslagen, nicht nur in Beziehungen, findet und wahrscheinlich unmöglich ist, abzustellen.
Ich lese in deinem Text hier etwas, was du bei den Dating Apps bereits mehrfach angesprochen hast, nur in abgeschwächter Form. Zu Beginn einer Beziehung ist man glücklich, diese Person kennengelernt zu haben, reißt sich am Riemen, damit alles perfekt ist und empfindet das nicht als negativ. Dabei gaukelt man doch eigentlich genauso falsche Tatsachen vor, wie wenn man sich als „mit Kurven“ beschreibt, obwohl man eigentlich einfach nur fett ist; es hält nur länger, weil es nicht so offensichtlich falsch ist. Später in der Beziehung, wenn man sich aneinander gewöhnt hat, kehrt man immer mehr in den Normalitätszustand zurück, weil, den normalen Partner zu spielen, immer Anstrengung bedeutet hat und man sich das irgendwann wahrscheinlich nicht mehr antun will.
Deine Aussagen aus dem Podcast und in den Leuchttürmen in diese Richtung nach der Trennung und dann in der neuen Beziehung, zeigen einfach, was für eine wahnsinnig bewusstseinsverändernde Wirkung Beziehungen selbst auf einen reflektierten Menschen wie dich haben. Und darin liegt, meiner Ansicht nach, die Erklärung für deine Fragen. Die Wirkung schwankt nunmal je nachdem, wie intensiv die Beziehung gerade ist.
„Ich habe in zwei Beziehungen hintereinander den Fehler gemacht, den Wert meiner Hobbys und meiner Arbeit über den meiner Beziehung zu “hängen”.
Warum soll das ein Fehler sein? Es ist doch ein verklärendes Hollywood Klischee, genauso wie die absurde Idee der „einen großen ewigen Liebe“, dass es das nun-plus-ultra wäre eine Person zur Absoluten Nr.1 zu erklären und ihr alles unterzuordnen. Ich finde im Gegenteil, dass es extrem egoistisch ist, das zu verlangen. Jede meine Freundinnen wusste, dass sie nur für die erste Zeit auf Platz 1 bei mir stehen würde, das habe ich von Anfang an so kommuniziert. Nur weil jemand der wichtigste Mensch im Leben ist bedeutet es nicht, dass er DAS wichtigste im Leben ist. Und das hat auch nichts damit zu tun, dass man die Person nicht liebt.
Vielleicht bin ich auch zu unromantisch für diesen ganzen Quatsch, aber mE ist Liebe (und erst recht „ewige Liebe“) keine gesunde Basis für eine langdauernde Beziehung. Gefühle verändern sich, sie verfliegen oder verschwinden ganz. Die Idee der romantischen Liebe ist ein ziemlich neuartiges Konzept, dass als Beziehungsgrundlage erst in modernen Zeiten Einklang in unser Leben gefunden hat. Echte Freundschaft gepaart mit sexueller Anziehung zu einer Frau ist die weitaus bessere Basis – Rationalität das Erfolgsrezept für eine glückliche Beziehung.
Ich denke es hat vor allem damit zu tun, dass man das, „womit“ man sich gehen lässt wahrscheinlich schon sehr lange kennt und damit praktisch auch eine Art „Beziehung“ hat. Kommt nun eine Beziehung dazu, wird man unterbewusst wohl der Meinung sein, dass sich das neue irgendwie in das alte einfinden muss.
P.S. Korrektur: Die „negative Seite“ ist Mr. Hyde und nicht Dr. Jekyll 😉
Naja wenn man frische verliebt ist, dann gilt es erstmal die Angebete zu erobern und daher zeigt man sich so wie es allgemein als besonders nett höfflich, nett usw. gilt. Während der ersten Phase des Zusammensein hat man die rosarote Brille auf und ist damit blind für die Schwächen des anderen, die man unter anderen Umständen eventuell als störend empfunden würde. Diese Phase endet dann irgendwann schleichend und die Störfaktoren treten eher zu tage. Zumal viele auch nicht mehr soviel Rücksicht auf den Partner nehmen, da man ihn/sie schon erobert hat.
Das ist aber ein sehr schleichender Prozess, der über Jahre dauern kann.
Was aber dagegen tun?
Entweder die Frau verliebt sich in dich, so wie du im Alltag auch bist (also der ,,Nerd-Krömer´´) oder die Kommunikation in der Beziehung muss gut laufen und man achtet gegenseitig darauf sich genügend Zeit füreinander zu nehmen. Bei letzteren muss sich einer der Partner ggf. zurücknehmen, wobei man da sagen muss, dass es sehr subjetiv ist was die richtige Zeitmenge ist.
Wenn man sich nicht gehen lassen kann, (in einem normalen Rahmen) nutzt die ganze Beziehung nichts egal wie weh es tut.
Habe das auch jahrelang mit biegen und brechen versucht, aber mit meiner jetzigen Frau kann ich ich sein und das ist echtes Glück.
wer glaubt, etwas zu haben hört auf, etwas zu wollen bzw sich darum zu bemühen. denke ich zumindest. aber vielleicht ist es wie mit dem aufstehen um 4 uhr morgens: man will es nicht, man kommt ggf zu spät, aber man bleibt trotzdem ohne schlechtes gewissen liegen. einfach, weil dsa gerade bequem und logisch erscheint.
Sokrates:
Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden.
So herum stimmt es. Dein Satz wäre genauer:
Wer glaubt, etwas zu haben, hört auf genau dieses etwas zu wollen.
Denn das liegt in der Natur des Menschen.
Nachbars Kirschen und das Gras lassen grüßen.
Wenn einem das Surfen wichtiger ist, und man es nicht abstellen will, dann ist es einem mehr Wert als die Beziehung. Wenn der Partner das anders sieht, gibt es entweder einen Kompromiss oder aber wie hier die Trennung.
Der Anfang einer Beziehung ist meist einfach nur Theater. Und das ist auf Dauer zu anstrengend für beide Parteien. Dazu kommt das Frauen nen Vollschaden haben. Single für immer, da erspart man sich vieles. 😉
Lieber Stevinho,
auch ich sah mich in solch einer Position. Meine erste Beziehung hielt 4 Jahre lang. Während ich dachte, dass wir beide sehr glücklich sind, hat sie das gegenteil gedacht. Ich bin wahrscheinlich auch irgendwo stehen geblieben. Ich habe mich als Mensch nicht weiter entwickelt und somit konnte sich auch die Beziehung nicht weiter entwickeln. Nach der Beendigung (und glaub mir – das war die schrecklichste Zeit für mich… ) habe ich angefangen, zu überlegen, was ich falsch gemacht und was ich ändern muss, damit ich bei der nächsten Beziehung nicht wieder das falsche mache. Wahrscheinlich muss man erst einmal ganz am Boden sein, damit man wieder aufstehen kann und daraus lernt, beim nächsten mal wieder schneller aufzustehen.
Ich war auch am Boden zerstört, aber ich wollt es allen beweisen und zeigen, dass ich es drauf habe. Dass ich stark genug bin, jede Prüfung zu bestehen. Und das Leben besteht nur aus Prüfungen.
Also Steve – egal wie oft zu hin fällst – steh wieder auf und gib dein Bestes. Die nächste Beziehung wartet schon und durch genügend Selbstreflexion, lernst du aus deinen und Fehlern 🙂
(Ziemlich blöder Text – tut mir leid, aber vielleicht heitert es dich ein bisschen auf ^^)
Mach Dir keine Sorgen um mich. Bei mir läuft’s, Diggah!