Leuchtturm: Die Blonde vom Imbiss

– Do 08.12.11.: Es ist Donnerstag, der längste Tag meiner Woche. Ich habe nachmittags noch Förderunterricht in Deutsch. Die Jugend von heute legt keinen Wert mehr auf Rechtschreibung. Habe ich damals auch nicht. Man beeindruckt „geile Schnecken“ einfach nicht mit einer Eins in einem Diktat. Aufgrund dieser Erkenntnis fällt es mir leichter, den Offenbarungseid, den mir einige Schüler in der Deutsch-Förderstunde bieten, zu verdauen. Apropos Verdauen: Verdammt habe ich nen Hunger!

Ich komme nach Hause und meine Freundin erwartet mich bereits. Sie legt ihr patentiertes Augenklimpern auf und bittet mich, zum Imbiss zu fahren und für sie Chicken Nuggets und Pommes zu kaufen. Wieso ist die Olle überhaupt hier und arbeitet nicht? Und wenn sie hier ist, warum glänzt das Haus dann nicht? Sie ächzt vor sich hin und berichtet mir von ihrer schweren Krankheit, die sie über Nacht befallen hat. Ich glaube ihr kein Wort und nehme mir vor, ihr auf die Pommes zu spucken. Gott, bin ich primitiv.

Als ich den Imbiss meines Vertrauens betrete, trifft mich fast der Schlag. Die kleine, dicke Russin, die mich normalerweise um diese Zeit erwartet, ist heute nicht da. Sie ist wahrscheinlich auch krank. Aber bei ihr bin ich mir sicher, dass sie zu Hause trotzdem putzt. Statt der Russin empfängt mich eine gefärbte Blondine, die ihre besten Jahre und einen gepflegten Haaransatz bereits hinter sich hat. Ich will eigentlich nur schnell bestellen, doch sie erzählt mir ihre halbe Lebensgeschichte. Ich hasse Small-Talk, wenn ich Hunger habe. Ich falle ihr ziemlich unhöflich ins Wort und grunze ihr meine Bestellung entgegen – hoffentlich nimmt sie mir das nicht krumm und spuckt mir ebenfalls die Pommes. Ich bestelle Chicken Nuggets für meine Olle, ein leckeres Schnitzel und einen kleinen gemischten Salat für mich – Pommes für beide.

Es sind zwanzig Minuten vorbei, und es ist noch nichts fertig. Bei meiner kleinen, dicken Russin würde ich jetzt schon zu Hause am Tisch sitzen und genüsslich an meinem Schnitzel nagen. Die „Ersatztante“ kriegt irgendwie nichts geschissen. Während ich unruhig auf meinen Beinen hin- und herhüpfe, weil ich auch noch auf die Toilette muss, erzählt mir die Friseuse im Ruhestand von ihrer Hochzeit und dem tollen Auto, was sie „damals“ extra dafür gemietet haben. Ich nicke unruhig und deute auf die Uhr. Endlich setzt sich die Tante in Bewegung und schleppt sich zur Salattheke. Der Salat ist quasi das kulinarische Highlight des Ladens. Das Dressing ist wirklich perfekt und der Krautsalat matschig und lecker. „Uschi“ kommt zurück und hat auch mein Schnitzel und die Chicken Nuggets mitgebracht. Lieblos wirft sie diese ins kochende Fett und kratzt sich am Kopf. Als es daraufhin anfängt, von ihrem Kopf zu schneien, vergeht mir komplett der Appetit…

Pommes müssen gut gesalzen sein, das ist mir wichtig. Nachdem ich fast vierzig Minuten gewartet habe, holt die Imbiss-Tante meine Pommes endlich aus der Fritteuse. Irgendwie sehen diese trotzdem noch labberig aus. Ich frage extra nach, ob die auch wirklich schon durch sind. Sie weißt ausdrücklich auf ihre langjährige Erfahrung in diesem Bereich hin – sie wüsste, wann Pommes genau richtig seien. Als ich sie darum bitte, die Pommes richtig zu salzen, haut sie eine so große Ladung Salz darauf, dass ich große Zweifel habe, ob das Salz in diesem Winter zum Streuen reichen wird.

Zu Hause angekommen, meckert mich meine Freundin an, warum das so lange gedauert hat. Genervt drücke ich ihr die eingepackten Chicken Nuggets so fest gegen die Brust, dass meine Freundin vor sich hin quiekt. Ich öffne mein Schnitzel und schneide mir vorsichtig ein Stück ab. Widerlich! Es schmeckt wie ein totes Stück Leder. Die Pommes sind halb durch und völlig versalzen. Mein Salat schwimmt so sehr in Dressing, dass er eigentlich mehr als Suppe durchgeht. Ich bin enttäuscht, dafür habe ich jetzt eine dreiviertel Stunde gewartet? Wie schwer kann es sein bitte sein, Sachen in kochendes Fett zu werfen und sie im richtigen Moment wieder rauszuholen? Das könnte sogar mein Kater Figo.

Meiner Freundin scheint es zu schmecken, sie haut richtig rein. Ich bin frustriert und ertränke meine Schnitzel mit der vorgekochten Jäger-Soße, die die olle Imbisstante zum Glück nicht auch noch töten konnte. Da soll nochmal einer sagen, es gäbe in Sachen Fast-Food keine qualitativen Unterschiede. Es ist zwar wirklich schwierig, aber manche Leute kriegen es nicht mal hin, Sachen in Fett ordentlich zuzubereiten…

Ich rufe: „Mausi, guck mal, da ist Mike! Unser Igel ist zurück!“. Als meine Ische freudig zum Fenster schaut, klaue ich ihr zwei Chicken Nuggets. Den Rest meines Essen schneide ich klein und werfe es meinen Katzen vor, die einmal daran schnüffeln und dann ebenfalls das Weite suchen. Ich nehme mir vor, mich bei der Cheffin des Imbiss‘ zu beschweren, was ich natürlich nie machen werde. Des Weiteren esse ich in diesem Laden nur noch, wenn meine kleine, dicke Russin wieder arbeitet und nehme mir ebenfalls vor, ihr bei meinem nächsten Besuch ein fettes Trinkgeld zu geben. Manche Dienste weiß man erst zu schätzen, wenn sie nicht mehr da sind…

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